Schwaben-Hass
kaum länger als eine Minute. Eine schmale, von hohen Bäumen gesäumte Allee abwärts, immer geradeaus, dann eine enge Serpentine nach rechts in die Höhe, anschließend links über einen von unzähligen Autos vollgeparkten Platz, vorbei an einem Schloss-ähnlichen Gebäude.
»So, do isch jetzt die Kirch«, brummte der Taxifahrer, »wellet sie etwa inne nei?«
Michaela König nickte, bat den Mann, auf sie zu warten. »Wir brauchen nur wenige Minuten.«
Die Stiftskirche war ein wuchtiger, langgezogener Bau, deren romanischer Südturm etwa in der Mitte zwischen dem spätgotischen Chor und dem Langhaus rechteckig aus dem Gebäude ragte. Sie sprangen aus dem Taxi, schauten sich nach allen Seiten um, rannten direkt auf das oberhalb einer breiten, halbrunden Treppe liegende Eingangstor des Gotteshauses zu. Wenige Meter vor den Stufen standen mehrere Frauen und Männer, in eine lautstarke Unterhaltung vertieft.
Sie achteten nicht auf die Worte der Leute, stürmten die Stufen hoch, bemühten sich, die Tür zu öffnen. Sie war abgeschlossen.
Nervös hastete Michaela König zurück, versuchte sich bei der heftig diskutierenden Gruppe bemerkbar zu machen. »Verzeihung. Wir müssen in die Kirche. Wissen Sie zufällig, wo die Schlüssel …« Sie drang kaum durch, sah die erregten Gesichter der Leute.
»Dieser Dreckskerl!«, tobte einer der Männer.
»Stimmt der doch tatsächlich für den Umbau von dem Turm! Den wähl i nie mehr!«
»Die Schlüssel!«, rief Michaela König.
Sie benötigte mehrere Anläufe, bis ein kräftiger, mit einer grauen Jacke bekleideter Mann endlich reagierte und sich von der Gruppe löste.
»Sie wollet in die Kirche?« Er zog einen Schlüsselbund aus der Tasche, stellte sich als Mesner des Gotteshauses vor.
Sie bat ihn, das Innere des Gebäudes besichtigen zu dürfen, begleitete ihn mit Weidmann zum Tor.
»Solche Idiote!«, donnerte eine Frau hinter ihr. »Der ganze Gemeinderat hat doch von Kunscht so viel Ahnung wie a Herd voll Rindviecher!«
Michaela König wusste nicht, was die Leute so in Wallung brachte, war nur froh, dass der Mann endlich aufschloss. Sie bedankte sich, erklärte dem Mesner, dass sie allein zurecht kämen, drückte sich mit Weidmann an ihm vorbei in die Kirche.
Das Innere des Gotteshauses wurde von mächtigen, beidseits das gesamte Kirchenschiff durchlaufenden Emporen geprägt. Vorne, im Bereich des Eingangs prangte ein filigranes Sternnetzgewölbe an der Decke, fünf schmale, bis ganz nach oben reichende Glasgemäldefenster prägten die Wände des Chors.
Michaela König sah die schweren Holzbänke im Hauptraum, nickte Weidmann zu. Sie liefen zur ersten Bank, sie rechts, er links, tasteten die Unterseite der Sitzflächen ab, so wie sie es in den anderen Kirchen auch getan hatten. Das Gotteshaus war sauber geputzt, kein Schmutz, kein Papier, nicht ein einziges unbefugtes Relikt störte seine Eleganz. Die Fliesen glänzten, die bunten Fenster im Chor leuchteten in prächtigen Farben.
Michaela König ließ ihre Finger unter das Holz gleiten, kämpfte sich in gebückter Haltung vom Mittelgang nach außen, untersuchte Bank um Bank.
Plötzlich hörte sie den unterdrückten Schrei auf der anderen Seite. Sie schaute hinüber, sah Weidmanns heftiges Winken. Er kniete auf dem Boden, machte sich unter einer der Bänke zu schaffen.
Michaela König richtete sich auf, eilte die Sitzreihe entlang zu dem Journalisten. Er ächzte und stöhnte, scharrte mit einem Schlüssel unter der Sitzfläche, hatte die Diskette plötzlich in der Hand.
Sie starrte auf das kleine schwarze Rechteck, irgendwie wurde ihr schwindlig, sie glaubte zu träumen. »Sie haben es wirklich …«
Er nickte nur mit dem Kopf, zeigte auf einen Knäuel Klebestreifen, den er zu Tage gebracht hatte, richtete sich schwer atmend wieder auf. »Frau Litsche hat sich alle Mühe gegeben.«
Michaela König nahm die Diskette in die Hand, las die Aufschrift auf dem kleinen weißen Quadrat: »VL KRIEG«.
»VL«, sagte sie, »Verena Litsche.« Ihre Worte hallten laut in dem gewaltigen Kirchenschiff wieder. Erschrocken sah sie sich um. Das Gotteshaus war leer.
»Es geht um einen Krieg«, sagte Weidmann, »sie hat irgendwelche schmutzigen Dinge aus einem Krieg recherchiert, die nicht ans Licht der Öffentlichkeit sollten. Und wir haben sie jetzt in der Hand, trotz all der Bemühungen der Verbrecher, das zu verhindern. Uns bleibt aber keine Zeit. Wir müssen hier weg. Sofort.«
Er reichte ihr die Diskette wieder, sah,
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