Schwaben-Hass
so gut es ging, hörte die Bemühungen der Frau am anderen Ende, alles genau zu notieren.
»Sie kannten Frau Litsche näher?«, fragte die Redakteurin.
»Wir waren befreundet.«
»Dann wissen Sie, worum es in ihren Recherchen ging.«
»Das wollte ich von Ihnen erfahren.«
»Sie wissen es nicht?« Die Stimme in Berlin klang schrill.
Der Mann gaffte sie jetzt von der Seite an, sog an seiner Zigarette. Michaela König wurde langsam nervös.
»Das Projekt war dermaßen delikat, dass sie von unserem zuständigen Redakteur absolute Geheimhaltung verlangte. Er wurde ermordet.«
»Ich weiß. Verena erzählte es mir. Sie war dabei.« Sie hörte das Getuschel am anderen Ende der Leitung, sah, wie der Mann draußen sich bewegte. Er öffnete die Tür der Telefonzelle, blickte sie überraschend freundlich an.
»Dauert es noch lange?«, fragte er.
Sie zitterte plötzlich am ganzen Leib. »Einen Moment bitte, ja?«
Er nickte, trat zurück.
»Sie können uns vielleicht helfen«, sagte Klaudia Kunst, »wenn Sie Frau Litsche näher kannten. Wir wollen die Mörder finden, unbedingt. Bitte.«
»Was soll ich tun?« Sie behielt den Mann die ganze Zeit im Blick. Er war um die Vierzig, groß, kräftig, hatte kurze Haare und einen Ansatz zur Stirnglatze.
»Wir erhielten gestern einen anonymen Anruf von einer Frau. Angeblich hat sie die gesamten Recherchen auf Diskette. Direkt von Frau Litsche. Sie will eine Million dafür. Heute ruft sie wieder an. Wir nehmen ihre Stimme auf Band. Vielleicht kennen Sie die Frau. Wenn Sie uns später noch einmal anrufen könnten?«
»Ich will es versuchen.« Der Mann stand zwei Meter von der Zelle weg. Wenn ich noch lebe.
»Bitte melden Sie sich wieder. Helfen Sie uns. Bitte.«
Er lächelte ihr zu, als sie vom Telefon weglief. Er nickte, schaute ihr nach. Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Sie wusste nur nicht, woher.
Langsam machte sich die Angst wieder in ihr breit. Waren sie doch hinter ihr her? Hier in Stuttgart? In Heslach?
Sie schaute sich sorgsam um, sah, dass der Mann eine Nummer eintippte. Wie sollten sie sie gefunden haben? Durch die Fahrkarte, die ihr im Gedränge des Bahnsteigs entfallen war?
Sie musste sofort wieder in die Wohnung zurück. Dort allein war sie sicher. Vorher aber im Zickzack durch die Stadt, um sie zu verwirren.
Sie lief zur Haltestelle der Stadtbahn, sah, dass sich ein Zug Richtung Vaihingen näherte. Ihre Münzen reichten für eine Fahrkarte. Sie programmierte den Automaten, wartete, bis alle Passagiere eingestiegen waren, sprang dann in letzter Sekunde in den Wagen. Der Mann in der Telefonzelle reagierte nicht, sprach konzentriert in den Hörer.
Bis nach Vaihingen waren es nur wenige Minuten. Sie verließ die Bahn am Schillerplatz, bummelte zur nahe gelegenen Buchhandlung, beobachtete im Schaufenster, ob ihr jemand gefolgt sei. Unzählige Passanten kamen vorbei. Sie drehte sich um, konnte keine verdächtigen Personen erkennen. Vielleicht war es nur Einbildung und sie wussten nichts von ihrer Anwesenheit in Stuttgart. Sie musste in die Wohnung, sich ausruhen, die Aufregung vergessen. Vielleicht war es doch besser, das Haus in der Hasenbergsteige während der nächsten Tage nicht mehr zu verlassen.
Michaela König folgte den Schienen der Stadtbahn zum Vaihinger Bahnhof, sprang in die Unterführung, drehte sich blitzschnell um. Nichts. Kein Mensch. Niemand, der ihr folgte.
Trotzdem fühlte sie sich nicht wohl, als sie die S-Bahn an der Schwabstraße verließ und die Rötestaffel hinaufstieg.
22. Kapitel
Das Städtische Krankenhaus in Mannheim befand sich nur wenige Straßenbahn-Minuten vom Hauptbahnhof entfernt. Braig hatte den nächsten Zug genommen und war ohne jede weitere Überlegung zum Bett seiner Mutter geeilt.
Sie war nicht ansprechbar, lag isoliert in einem Raum der Intensivstation, angeschlossen an ein Gewirr verschiedener Kabelstränge. So oft er auch im Verlauf seiner Ermittlungen Menschen in ähnlich ausweglosen Situationen begegnet war, so schockierend traf ihn ihr Anblick, hatte er es jetzt doch nicht mit einer weitgehend anonymen Gestalt, sondern mit der wichtigsten Bezugsperson seines Lebens zu tun. Bleich und abwesend wirkte ihr Gesicht, der Brustkorb hob sich kaum merklich, wenn sie verhalten atmete.
»Wir konnten einen Infarkt gerade noch vermeiden«, erklärte ihm die Ärztin, die sich schon am Telefon als Dr. Claudia Ohlrogge vorgestellt hatte, »aber die Sache ist noch nicht ausgestanden. Danken Sie Gott oder dem Schicksal, dass
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