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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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es unmittelbar vor einer Arztpraxis geschah.«
    Seine Mutter war auf der Straße zusammengebrochen, mitten im Gewimmel der Fußgängerzone, wie es der Zufall wollte, vor der Eingangstür zu einem Facharzt für Urologie. Die aufgeregten Rufe hatten den Mediziner zu schneller Hilfe animiert und Braigs Mutter – so weit es im Moment absehbar war – das Leben gerettet.
    »Wir hoffen es jedenfalls«, schloss Dr. Ohlrogge ihre Ausführungen, »eine Garantie darauf haben wir natürlich nicht.«
    Braig strich seiner Mutter über die bleiche Stirn, blieb ein paar Minuten, tröstende und besänftigende Worte vor sich hin murmelnd vor ihrem verhalten atmenden Körper stehen und folgte dann der Ärztin auf deren Bitte aus dem Raum.
    »Wir haben sie mit Medikamenten in Schlaf versetzt, damit ihr Körper sich erholen kann«, hatte sie ihm vorher erklärt.
    Braig setzte sich auf einen der Stühle vor der Glasscheibe, die den Blick in die Intensivstation frei gab, versuchte, sich zu beruhigen. Die Beziehung zu seiner Mutter war in den letzten Jahren nicht gerade von gegenseitigem Verständnis und Harmonie geprägt gewesen, weiß Gott nicht. Eifersucht und ständige Vorwürfe durchzogen ihr Verhältnis wie ein roter Faden, seit er sich vor mehreren Jahren mit seinem beruflichen Wechsel nach Stuttgart räumlich von ihr getrennt hatte. Die Abnabelung von ihrem dominierenden Einfluss war für ihn die Basis zum Aufbau einer eigenständigen, selbstverantworteten Existenz, für sie dagegen das egoistische Davonstehlen ihres undankbaren allein seiner eigenen Lust frönenden einzigen noch lebenden Kindes – nach dem langsamen Dahinsiechen seiner krebskranken Schwester umso unerträglicher und unverantwortlicher. So sehr er sich bemüht hatte, die Spannungen abzubauen und für mehr Harmonie zu sorgen, waren den Wochen eines freundlichen Miteinander bald wieder Monate der Zerrüttung gefolgt – anscheinend ein unabwendbares Schicksal, das ihrer Beziehung auferlegt war. Und jetzt dieser abrupte, unerwartete Zwischenfall.
    Offensichtlich waren Leib und Seele seiner vor mehr als fünfunddreißig Jahren von Jugoslawien ins fremde Land gewechselten Mutter im Verlauf der vergangenen arbeitsreichen Jahrzehnte weit mehr geschwächt und in Mitleidenschaft gezogen worden, als er es bisher bedacht hatte. Drei Berufe gleichzeitig, dazu die Erziehung und Versorgung zweier Kinder, der frühe Tod der Tochter, vielleicht auch der Wegzug des Sohnes – all das hatte mehr Kraft gekostet, als ihre oft nach außen getragenen Aggressionen das hatten sichtbar werden lassen. Vielleicht war ihr Zusammenbruch ein Hinweis darauf, dass er sich mehr als bisher darum bemühen musste, das beiderseitige Verhältnis auf eine neue Grundlage zu stellen. Blieb nur die Hoffnung, dass es noch eine Chance dafür gab.
    Wie viel Zeit er auf dem Stuhl vor der Intensivstation verbracht hatte, teils in Gedanken, später dann in einen unruhigen Mittagsschlaf versunken, wusste Braig später nicht mehr. Irgendwann kurz nach drei Uhr war er zu sich gekommen, müde und verschwitzt, und hatte einen Blick auf seine Uhr riskiert, dabei erschrocken festgestellt, dass es höchste Zeit war, nach Stuttgart zurückzufahren, weil um 18 Uhr das Gespräch mit dem Minister auf sie wartete. Er verabschiedete sich von seiner ruhig schlafenden Mutter, stellte sein Handy wieder an und machte sich auf den Weg zum Bahnhof. Unterwegs informierte er Hofmann über sein familiäres Problem, entschuldigte sich für seine Verspätung.
    »Ich fürchte, Sie sind über die neueste Entwicklung unserer Fahndung nicht informiert«, erklärte der Oberstaatsanwalt.
    »Foca ist tot?«, fragte Braig. Er hatte befürchtet, dass der Albaner den Sprung aus der Wohnung nicht überleben würde.
    »Foca?«, antwortete Hofmann. »Ich weiß es nicht. Der Mann, der in Fellbach auf die Straße stürzte, erlag seinen Verletzungen. Leider ist es nicht Foca. Es handelt sich um einen völlig unbescholtenen Kurden, der Foca verblüffend ähnlich sieht. Sah, muss ich jetzt formulieren. Er litt unter einem Verfolgungstrauma, das auf seine Flucht vor türkischen Militärs und langer Folter in Gefängnissen am Bosporus zurückgeht. Deshalb sprang er vor lauter Angst aus dem Fenster, als unsere Leute in seine Wohnung eindrangen. Tut mir Leid, Braig, dass ich Ihnen keine erfreulichere Nachricht übermitteln kann.«

23. Kapitel
    Sie hatte lange mit sich gerungen. Im Haus war sie sicher.
    Niemand außer ihm wusste, dass sie sich hier

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