Schwaben-Herbst
das klar sein müssen. Natürlich, er ahnte ihn nicht, den Zusammenhang dieser Sache mit dem ermordeten Politiker, aber er durfte sich deshalb nicht aus der Ruhe bringen lassen, musste weiterhin so vorsichtig bleiben wie bisher, vielleicht sogar noch vorsichtiger, weil die Reihe jetzt garantiert an ihn kam und er nur mit seinem bisher eingeschlagenen Plan eine Überlebenschance hatte. Eine Überlebenschance, die allein darauf basierte, dass er den Finger schneller am Abzug hatte als sein Gegner.
Er griff in seine Hosentasche, tastete nach dem kalten Metall, das ihm der dicke Roland besorgt hatte. Ich bin in einer beschissenen Situation, hatte er ihm erklärt, einer muss dran glauben, ich oder der andere. Du nicht, hatte der dicke Roland geantwortet, du auf keinen Fall.
Er hielt die Waffe fest in seiner Hand, spürte die beruhigende Wirkung, die von ihr ausging. Sein ganzer Körper entspannte, der Puls wurde langsamer, das Gefühl irrationaler Beklemmung verflüchtigte sich. Ich werde das Schwein erwischen, wusste er, mein Finger wird zuerst am Abzug sein.
18.
Der Anruf schien so vage und diffus wie viele andere zuvor. Braig war erst vor wenigen Minuten in sein Büro gekommen, hatte den Mittwochmorgen mit einer zweiten Tasse Kaffee gekrönt.
»Es geht um den Kerl, der dauernd Frauen überfällt«, hatte eine männliche, reichlich verkatert wirkende Stimme erklärt, »Sie verstehen?«
»Darf ich wissen, mit wem ich spreche?«
»Ich habe die halbe Nacht darüber nachgedacht, ob ich wirklich auf dem richtigen Dampfer bin. Das Bild ist so lasch, verstehen Sie?«
»Lasch?«
»Schauen Sie es sich doch mal an. Das kann alles und jedes darstellen.«
»Aber Sie glauben trotzdem, eine bestimmte Person erkannt zu haben«, hatte Braig nachgehakt, »würden Sie mir bitte Ihren Namen nennen?«
»Ach so, natürlich.« Der Mann hatte lange und laut gegähnt, sich dann entschuldigt. »Also, es ist spät geworden heute Nacht, verstehen Sie?«
Braig hatte ein kurzes »ja« von sich gegeben, dabei überlegt, was er noch alles verstehen sollte.
»Adrian Hettich ist mein Name. Wir haben gefeiert, verstehen Sie?«
»Wo?«
»Bei Sven, einem Kumpel. Er hatte seinen Vierzigsten.«
»Wo wohnen Sie?«
»In Oberboihingen. Aber das tut nichts zur Sache. Es geht um den Kerl, der dauernd Frauen überfällt. Sie suchen ihn, verstehen Sie?«
»Ja, ich verstehe«, hatte Braig erklärt.
»Ich weiß wirklich nicht, ob ich auf dem richtigen Dampfer bin, aber wenn was dran ist an der Sache … Ich habe die halbe Nacht darüber gegrübelt und bin zu dem Ergebnis gekommen: Besser, ich rufe mal an. Wenn es nicht stimmt, werden Sie ihn wohl kaum verhaften, oder?«
»Wen haben Sie im Verdacht?«
»Also, Sven hatte die Idee. Habt ihr das Bild gesehen von dem Dreckskerl, der dauernd Frauen überfällt? fragte er, ich weiß nicht mehr genau, wann. Irgendwann am späten Abend halt. Natürlich, riefen ein paar Leute, aber viel zu erkennen ist da ja nicht. Das stimmt, meinte Sven, aber trotzdem erinnert er mich an jemand. « Hettich hatte geschwiegen, dann erneut gegähnt.
»Und? Wen meint er, erkannt zu haben?«
»Offenbach, diesen Autohändler«, hatte der Mann geantwortet.
»Einen Autohändler? Wo hat er seinen Betrieb?«
»In Stuttgart. Ich war mit Sven bei ihm, vor drei oder vier Monaten. Sven wollte einen gebrauchten Daimler holen – die sind bei Offenbach recht günstig. Unfallmodelle, wieder aufgemöbelt, verstehen Sie?«
Braig war hellhörig geworden, hatte sich in seinem Stuhl aufgerichtet. »Der handelt mit Gebrauchten von Daimler? Alle Typen oder nur bestimmte Modelle?«
»Alle Typen, ja. Der richtet sie selbst her und verkauft sie dann wieder.«
»Und diesen Offenbach glaubt ihr Bekannter, dieser Sven, auf unserem Phantombild erkannt zu haben.«
»Ja, genau. Und je länger ich darüber nachgedacht habe, desto mehr muss ich sagen: Da ist was dran. Irgendwie ist Sven auf dem richtigen Dampfer, verstehen Sie?«
»Wo liegt dieser Betrieb? Geben Sie mir bitte die genaue Adresse.«
Braig hatte sich die Anschrift notiert, seinen Kaffee ausgetrunken, dann um die Begleitung eines Kollegen nachgesucht. Kurze Zeit später hatte Kriminalobermeister Stöhr seine Einsatzbereitschaft erklärt. Braig war zu seinem Schreibtisch gegangen, hatte seine Waffe eingesteckt, sich dann mit Stöhr auf den Weg gemacht.
Der Betrieb Offenbachs lag etwas versteckt hinter einer großen Lagerhalle in der Nähe des Neckars. Braig bemerkte ihn erst, als
Weitere Kostenlose Bücher