Schwaben-Herbst
doch noch zu finden. Irgendein noch so kleiner Hinweis auf das Aussehen des Mannes, seine Kleidung, die Stimme, sein Auto, das war es, was er sich vom Kontakt mit ihr versprochen hatte. Die wenigen Anrufe, die auf das allzu vage Phantombild des Täters bisher eingegangen waren, entbehrten jeder realistischen Grundlage, zu ungenau war die Skizze, die er auf Bareiss’ Andeutungen hin hatte veröffentlichen lassen. Sie zu verbessern, die Konturen des Täters wenigstens um einige wenige Momente genauer zu fassen, hatte er sich von Ulrike Maier erhofft, eine Bemerkung vielleicht zu der angeblichen Warze, einen Hinweis zur Farbe oder Form seiner Augen – mehr nicht.
»Wahrscheinlich ist sie noch traumatisiert«, hatte er Bareiss erklärt, auch mit dem Hintergedanken, sich selbst eine Erklärung für das ungewöhnliche Verhalten der Frau zu geben.
»Benötigt sie dann nicht Hilfe? Sie haben doch Fachleute, die sich um Verbrechensopfer kümmern, oder bin ich da falsch informiert?«
Er hatte sich nach einigem Hin und Her von dem Mann verabschiedet, ihn gebeten, keinen Kontakt zu Ulrike Maier zu suchen, sondern die Angelegenheit voll und ganz ihm zu überlassen. »Ich werde Sie in den nächsten Tagen persönlich über die weitere Entwicklung informieren«, hatte er ihm als Dank für seinen Einsatz versprochen, war dann müde und erschöpft von den Anstrengungen des Tages nach Hause gefahren.
Seine Partnerin hatte Bareiss’ Gedanken sofort aufgegriffen.
»Du solltest dich wirklich um eine Psychologin kümmern«, hatte Ann-Katrin Räuber erklärt, als er ihr am nächsten Morgen den Vorfall ausführlich schilderte. Sie war gerade erst zu sich gekommen, hatte einige Zeit benötigt, das Gehörte zu verarbeiten. »Die Frau steckt offensichtlich in der Klemme«, hatte sie überlegt. »Sie hat den Vorfall verdrängt. Sonst würde sie doch nicht leugnen, zum Opfer geworden zu sein.«
Er hatte ihr versprochen, sich um eine Therapeutin für Ulrike Maier zu kümmern, war sich aber darüber im Klaren, dass ihm die Frau aufgrund ihrer psychischen Verfassung in nächster Zeit wohl kaum für Auskünfte zum Täter zur Verfügung stehen würde.
»Du darfst auf keinen Fall versuchen, sie nach dem Überfall oder gar dem Monster, das über sie herfiel, zu befragen«, hatte Ann-Katrin gedrängt. »Wer weiß, welche Ängste das bei ihr erneut auslöst.«
Mit Schrecken hatte er zugeben müssen, nichts über die Frau zu wissen.
»Du hast keine Ahnung, ob sie Familie hat oder allein lebt? Ob sie jemanden in ihrer Nähe hat, der ihr hilft, das Verbrechen zu verarbeiten?«
»Woher denn?«, hatte er erwidert. »Ihre Identität war uns bisher doch vollkommen unbekannt.«
Den halben Dienstag war er deshalb unterwegs, Informationen über Ulrike Maier zu sammeln. Er erkundigte sich beim Einwohnermeldeamt, erfuhr, dass sie erst seit sechs Monaten in Esslingen lebte und aus Tübingen zugezogen war, allein, ohne Familienangehörige. Vierundzwanzig Jahre alt – um einiges jünger, als er sie von der Begegnung gestern Abend her einschätzte, was aber wohl eindeutig der Situation zuzuordnen war; Studentin an der Universität Tübingen. Er ließ ihre frühere Adresse in der Universitätsstadt überprüfen, erhielt die Mitteilung, dass dort nur zwei Wohngemeinschaften gemeldet waren, Telefonnummern anbei. Braig gab die erste Ziffernfolge ein, hatte auf Anhieb Glück.
»Uli? Ja, die wohnte bei uns«, erklärte die junge Frau am anderen Ende der Leitung, die sich ihm als Maike Brandl vorstellte. »Bis im März.«
»Weshalb zog sie weg?«
»Na ja«, die junge Frau zögerte mit ihrer Antwort, »ich glaube, da sprechen Sie besser mal mit Achim, ihrem Ex.«
»Wo erreiche ich ihn?«
»Hier, bei uns. Aber im Moment ist er in der Uni. Der schreibt an seiner Arbeit.«
»Dieser Achim war Frau Maiers Freund?«
»Ja«, erklärte Maike Brandl, »wie ich hörte, lernten die sich hier in unserer WG kennen und waren immer ganz dick miteinander.«
»Aber im Frühling ging es auseinander.«
»Endgültig, ja.«
»Wie heißt dieser Achim mit Nachnamen, und wann ist er zu erreichen?«
»Achim Klein. Ich würde sagen, ab etwa 17 Uhr. Wenn Sie es dann noch mal probieren?«
»Kennen Sie die Familie von Frau Maier? Ihre Eltern und Geschwister?«
Maike Brandl schien zu überlegen. »Tut mir leid, so dick haben wir es nicht miteinander. Ich wohne erst seit einem Jahr hier und Uli ist ja auch schon im März weg … Fragen Sie Achim, okay?«
Braig bedankte sich für
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