Schwaben-Herbst
Heike, als Neundorf in sein Büro stürmte. Ihr Gesicht glühte vor Aufregung, Unruhe und Nervosität prägten ihre ganze Körperhaltung.
»Dieser Söder«, erklärte sie, »der von der Liste, der wie Sattler letztes Jahr plötzlich verschwand …«
Braig verstand sofort. »Ja. Hast du ihn erreicht?«
Neundorf schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie, »eben nicht. Genau darum geht es.« Sie hatte Mühe, ruhig zu bleiben, atmete tief durch. »Söder, Mark. Er wohnt in Stuttgart. In Gaisburg, um es genauer zu sagen.«
Braig blickte automatisch aus dem Fenster, schaute in Richtung der anderen Talseite, wo der Vorort, keine zwei Kilometer Luftlinie entfernt, am Hang eines grünen Hügels lag.
»Ich habe Weisshaar gebeten, ihn auf der Einwohnermeldeliste zu überprüfen«, fuhr Neundorf fort. »Das Ergebnis: Alter: Vierundzwanzig. Beruf: Keine abgeschlossene Ausbildung. Jobbt als Aushilfe bei einem Bauunternehmen. Und jetzt das Entscheidende.« Sie machte eine kurze Pause, ließ Braigs Neugierde steigen. »Söder ist verschwunden. Seit zehn Tagen.«
»Verschwunden?«
»Nicht mehr an seinem Arbeitsplatz erschienen. Ohne Begründung.«
Braig stöhnte auf, stellte die Tasse zurück. »Das hört nicht auf, wie?«
»Nein«, sagte sie, »wir stechen in ein Wespennest. In ein ganz gewaltiges Wespennest.«
»Woher hast du die Information?«
»Von dem Chef des Bauunternehmens, bei dem er zuletzt jobbte. Seit einem halben Jahr, um es genau zu sagen. Ich habe mit dem Mann gesprochen. Söder ist ohne jede Vorankündigung nicht mehr erschienen. Am Montag letzter Woche tauchte er nicht mehr auf. Niemand weiß etwas. Auch nicht seine angeblichen Freunde. Er sei auch nicht in seiner Wohnung, meinte der Mann. Mitarbeiter hätten sich nach ihm erkundigt.«
»Ist das zum ersten Mal passiert?«
»Du meinst, für wie zuverlässig er ihn hält? Der Mann lachte nur. Großes Vertrauen hat der offensichtlich nicht in den Typen. Dass sich die Polizei nach ihm erkundige, wundere ihn nicht. Söder sei kein Heiliger, der die göttlichen Gebote dutzendfach gefressen habe. Dazu noch ein großer Sprücheklopfer. Dumme Phrasen, hohles Gelaber – Hauptsache, er finde Zustimmung in den eigenen Reihen. Aber dieses Verhalten komme in solchen Kreisen wohl ganz gut an.«
»Was sind das für Leute, mit denen er zu tun hat? Bekannte von uns?«
»Er wusste nur einen Namen. Roland Kopper.«
»Kopper?«, fragte Braig. »Haben wir was über ihn?«
»Ich habe es überprüft. Mehrfach vorbestraft. Nötigung, vorsätzliche Körperverletzung, illegaler Waffenhandel.«
»Waffenhandel?«
»Angeblich mit Verbindungen zur großen Szene.«
»Du denkst dasselbe wie ich?«
Neundorf nickte ohne zu zögern. »Wir müssen uns den Kerl vornehmen. Sofort.«
»Hast du seinen derzeitigen Aufenthaltsort ermittelt?«
»Er arbeitet bei einem Metallhändler unten im Industriegebiet am Neckar. Firma Lutz. Keine drei Kilometer von hier.«
Braig glaubte nicht richtig zu hören. »Lutz? Ein Metallhändler unten im Industriegebiet? Bei dem war ich doch gerade. Letzte Woche. Die Nachbarfirma Offenbachs. Der Kerl, der jedes Wochenende die Frauen überfiel.«
Neundorf riss ihren Mund auf, benötigte ein paar Sekunden, zu reagieren. »Offenbach? Der gerade ermordet wurde?«
»Genau der«, sagte Braig. »Ich war bei diesem Lutz und fragte ihn, ob es normal sei, dass Offenbachs Firma eine Stunde nach offizieller Geschäftseröffnung noch geschlossen sei.«
»Na, das ist prima«, meinte sie, »dann hast du ja keinerlei Probleme, den Weg zu finden.«
Braig bereitete es in der Tat keine Schwierigkeiten, Lutz Altmetall mitten in dem unappetitlichen Gewirr des Industriegebiets aufzuspüren. Zwar zeigte sich die Umgebung der Firma heute bei strahlendem Sonnenschein bei weitem nicht so schmuddelig wie vor wenigen Tagen, als er mitten in seinem Gespräch mit dem Mann von einem heftigen Regenschauer überrascht worden war, doch ging dem Gebiet jeder Ansatz einer lebenswerten Atmosphäre ab. Eine von Stuttgarts besonders abschreckenden Ecken, ein Areal, das man Freunden bei deren Besuch aus guten Gründen vorenthielt.
»Zum Kotzen!«, schimpfte Neundorf. »Nichts als Blech, Schrott, Dreck und verbeulte Karren. Wie kann man es nur aushalten, hier zu arbeiten.«
An Offenbachs Gebrauchtwagen schien sich nichts geändert zu haben. Das breite Metalltor zwischen den hohen Steinmauern lag genauso verlassen vor ihnen wie bei Braigs letztem Besuch. Wer das Unternehmen erbte, ob es
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