Schwaben-Herbst
wünsche ich ihr gute Besserung und möglichst schnelle Genesung.«
»Danke. Aber ich fürchte, das hilft auch nicht mehr viel. Jedenfalls habe ich Ihnen jetzt die Namen der Leute, die letzten Herbst bei uns gearbeitet haben, gemailt. Die Drei, die plötzlich verschwanden und auch ihren Lohn nicht abgeholt haben, sind angekreuzt. Sie haben die Liste?«
»Danke, ja. Ich bin gerade dabei, sie zu überfliegen.«
Abele
Birger
Heuss
Künzler
Maier X
Neuss
Sattler X
Saupp
Sinn
Söder X
»Kommen Sie damit zurecht?«
»Ja«, antwortete Neundorf. »Wenn ich das richtig verstehe, sind außer Andreas Sattler noch Maier und Söder plötzlich verschwunden.«
»Genau.«
»Wissen Sie noch das genaue Datum, wann das war?«
»Ja. Ich habe es vorhin extra noch einmal überprüft. Am 6. Oktober arbeiteten sie noch, am 7. tauchten sie nicht mehr auf. Ausgerechnet an einem Samstag. Da ist bei uns im Wingert am meisten Betrieb.«
Am 6. Oktober, überlegte Neundorf, das passte genau. Der Tag, an dem Grauselmaier seinen Vortrag hielt. Der Zusammenhang war da. Eindeutig. »Was ist mit Kai Offenbach und Falk Holdenried?«, fragte Neundorf. »Diese Namen finde ich nicht auf der Liste.« Sie hörte Papier rascheln, hatte dann wieder die Stimme ihrer Gesprächspartnerin am Ohr.
»Tut mir leid. Die sind nicht dabei. Ich kann mich auch nicht an Leute mit diesem Namen erinnern.«
»Mhm. Seltsam.« Neundorf wusste nicht, wie sie diesen Sachverhalt einordnen sollte. »Sie haben sie auch sonst nicht beschäftigt?«
Melanie Rober zögerte mit ihrer Antwort. »Also, wir hatten natürlich schon eine ganze Menge Erntehelfer bei uns. Meistens derselbe Stamm, aber immer wieder auch neue Leute dabei. Aber an diese Namen kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.«
»Na ja, da können wir nichts ändern«, seufzte Neundorf, fragte dann nach den Vornamen und den Adressen der auf der Liste aufgeführten Personen.
»Die Adressen?« Die Frau schwieg einen Moment. »Also die Vornamen kann ich Ihnen geben. Aber die Adressen habe ich nicht alle. Meistens nur Telefonnummern.«
»Dann geben Sie mir doch bitte die.«
Die Kommissarin nahm sich gerade ein Blatt, um sich die Angaben zu notieren, als Braig in ihr Büro stürmte. Er wedelte mit einem Papier durch die Luft, wirkte aufgeregt. Neundorf winkte ab, signalisierte ihm zu warten, schob ihm die ausgedruckte Mail mit der Liste zu. Braig nahm sie sich vor, studierte die Namen.
»Die Angekreuzten sind verschwunden«, flüsterte Neundorf. Sie bat ihre Gesprächspartnerin, eine Telefonnummer zu wiederholen, vervollständigte ihre Notiz. Kurz darauf bedankte sie sich für die Auskunft, ließ sich die Handy-Nummer Melanie Robers für eventuell notwendige Rückfragen geben, beendete das Gespräch.
»Das sind die Leute«, erklärte sie dann, an ihren Kollegen gewandt, »kannst du mit ihnen was anfangen?«
Braig zögerte, überflog die Liste erneut.
»Offenbach und Holdenried sind nicht dabei«, fügte Neundorf hinzu. »Ich habe mich extra nach ihnen erkundigt.«
Er schaute auf, lachte bitter. »Das ist kein Wunder. Hier, das habe ich gerade erhalten.« Er wies auf das Blatt, das er mitgebracht hatte. »Eine Information der Kollegen aus Mulhouse im Elsaß. Holdenried liegt dort seit fast zwei Wochen schwerverletzt in einer Klinik. Er hatte bei irgendeiner Rallye einen schweren Autounfall und wurde bereits zweimal operiert. Seine Identität konnte leider erst jetzt ermittelt werden. Der Mann liegt schon die ganze Zeit im Koma.«
Neundorf schaute überrascht auf. »Seit fast zwei Wochen?«
»Ich kann es dir genau sagen«, antwortete Braig. Er schaute auf das Papier, las seiner Kollegin die genauen Angaben vor. »Seit Freitag, dem 5. Oktober. Dir ist klar, was das bedeutet?«
Neundorf nickte, hatte die Daten im Kopf. Grauselmaier war an jenem Freitag spät am Abend gegen 23 Uhr in Köngen ermordet worden, Offenbach vier Tage später, am Abend des 9. Oktober. Da es sich bei ihrem Mörder wohl um ein und dieselbe Person handelte wie bei Andreas Sattler, der schon am 28. September gestorben war, kam Falk Holdenried nicht als Täter in Betracht. Auf keinen Fall. Sie hatten die ganze Zeit nach dem falschen Mann gefahndet.
8.
Außergewöhnliche Schwaben
Von Thomas Weiss
Sophie und Hans Scholl
Jede Zeit hat ihren Wahn, diese allerdings den schlimmsten, menschenverachtendsten überhaupt. Die Masse schwieg, die Mehrheit passte sich an, die Henker wüteten – damals, wie in allen Epochen
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