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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Freude, katapultierten ihre Körper weit in die Luft. Genau wie damals, überlegte er, kurz bevor sie die Hütte erreicht hatten.
    Er lief zum Hirschkopf, lehnte sich an den breiten Stein, der das Panorama der Umgebung reliefartig abbildete. Rechts die Höhen des Welzheimer Waldes, im Vordergrund die dicht besiedelten Flächen des Remstals von Grunbach über Beutelsbach, Endersbach und Stetten bis Waiblingen, überragt vom Korber und dem Kleinheppacher Kopf. Im Hintergrund die Silhouette des Schwäbischen Waldes, ihm vorgelagert der kleine, aber markante Rücken des Aspergs und das über und über besiedelte Neckar-Umland mit Ossweil, Remseck und den Stuttgarter Vororten Neugereut und Mühlhausen. Er setzte das Fernglas an die Augen, hatte die Obstwiesen und Weinberge Endersbachs und Strümpfelbachs vor sich. Sanft gewölbte Flächen mit Apfel-, Kirsch- und Birnenplantagen, steil ansteigende Hügel mit nach der Flurbereinigung in kerzengerader Linie gepflanzten Rebstöcken. Fast alle waren abgeerntet, nur wenige Lagen noch voller Trauben. Mit dem Acolon und dem Müller-Thurgau hatte es begonnen, er wusste es noch vom letzten Jahr, der Schwarzriesling und der Portugieser waren gefolgt.
    Er überflog die nahen Weinberge, hatte die Hütte plötzlich direkt vor Augen. Drei Meter lang, nicht ganz so breit, gerade mal so hoch, dass man sich aufrecht darin bewegen konnte, die schmale Tür, das kleine Fenster, alles wie im letzten Jahr. Seit Tagen hatte er sie im Visier, achtete er darauf, wer sich in ihrer Nähe bewegte. Wenn der Angriff erfolgte, dann garantiert in ihrer Nähe, weil damit zu rechnen war, dass er sich wieder in ihr einquartiert hatte, so wie im letzten Herbst.
    Stimmen schreckten ihn aus seinen Gedanken. Er setzte das Fernglas ab, sah eine Gruppe Wanderer den Weg vom Waldrand her kommen, musterte sie aufmerksam. Eine der Frauen blieb stehen – oder war es ein etwas aus der Fasson geratener Mann? – eine korpulente, sehr gut genährte Person, setzte ihren kleinen Rucksack ab, zog sich den Pullover über den Kopf. Sie wirkte verschwitzt, fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, verstaute den Pullover in ihrem Rucksack. Er sah die kahlen Stellen auf dem Kopf der Person, bemerkte seinen Irrtum. Hatte er sie vorher nicht als Frau identifiziert?
    Er verfolgte den Mann mit seinem Blick, wie er hinter der Gruppe herlief, ertappte sich plötzlich bei dem Gedanken, dass er sich noch keine Mühe gemacht habe, darüber nachzudenken, in welcher Gestalt ihm die Person, von der die tödliche Gefahr drohte, gegenübertreten würde. Unverblümt, ohne jede Tarnung, so wie im letzten Herbst? Oder in raffinierter Verkleidung, in völlig anderer Aufmachung, geschminkt, verhüllt, als neuer Mensch?
    Er spürte, wie das Unbehagen in ihm wuchs, Gänsehaut über seinen Rücken kroch, tastete nach dem Metall in seiner Hosentasche. Es fühlte sich kalt an, massiv und schwer. Doch so fest er es auch umklammerte, die undefinierbare Angst in seinem Inneren wollte nicht weichen.

7.
    Der Anruf kam erst am nächsten Morgen kurz nach Neun, Sekunden nach dem Eingang der sehnlichst erwarteten Mail. Neundorf hatte den ganzen Abend noch darauf gehofft, zwischen 19 und 21 Uhr selbst dreimal versucht, Melanie Rober zu erreichen, jedes Mal aber nur die stereotypen Formeln des Anrufbeantworters am Ohr gehabt.
    »Und? Sind die Namen da?«, hatte Braig sie am frühen Morgen, kaum war er im Amt angelangt, gefragt.
    Sie hatte missmutig den Kopf geschüttelt, war unruhig vor ihm auf und ab marschiert. »Ich habe es gerade eben wieder versucht. Immer nur der Automat. Wenn wir in einer halben Stunde keinen Bescheid haben, fahre ich persönlich hin und hole sie mir. Und wenn ich deren Büro auf den Kopf stelle.«
    Neundorf war gerade dabei, die in der Mail übersandte Namensliste zu studieren, hatte Melanie Rober am Ohr.
    »Es tut mir leid, dass ich Sie so lange habe warten lassen. Sie saßen sicher auf glühenden Kohlen, wie?«
    »Das kann man sagen, ja.«
    »Ich konnte mich nicht früher darum kümmern, es ging leider nicht«, entschuldigte sich die Frau. »Erst die Arbeit im Wingert bis kurz vor Neun und dann der Notruf meines Vaters aus Oppelsbohm. Meine Mutter hatte einen Schwächeanfall, kaum dass sic zu Hause war. Ich verbrachte die ganze Nacht dort, bin vorhin erst zurückgekommen. Es tut mir leid.«
    »Hoffentlich geht es Ihrer Mutter besser.«
    »Nein, das leider nicht. Wir mussten sie nach Schorndorf ins Krankenhaus bringen.«
    »Dann

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