Schwaben-Liebe
Kleidungsstücke notdürftig um den Leib geschlungen hatten, um der Ursache des Geräusches nachgehen zu können – sie waren nicht fähig, die Zeitspanne zu erfassen. Sie öffneten die Tür, stolperten hintereinander nach draußen, suchten die Umgebung des Fahrzeugs mit ihren Blicken ab. Es war dunkel, der fahle Schein des abnehmenden Mondes hüllte die Umgebung in ein gespenstisches Licht. Von Rotenberg her waren etliche Stimmen zu vernehmen, auf der Straße Richtung Untertürkheim dröhnte der Motor eines mit überhöhter Geschwindigkeit davonrasenden Autos.
Sie folgte ihrem Begleiter zur Rückseite des Campingbusses, trat unmittelbar hinter ihm auf die Fahrbahn. Der Anblick traf sie wie ein Schlag ins Gesicht: Der völlig deformierte Körper eines Mannes lag reglos auf dem Asphalt, nur eine Handbreit von der über und über mit Blut verschmierten Längsseite des Fahrzeugs entfernt. Es bedurfte keiner Taschenlampe, um zu erkennen, was dem Menschen hier geschehen war. Ihre Schreie hallten gleichzeitig durch die Nacht.
20. Kapitel
Der Ausstieg aus dem Ausstieg erfolgte etwas abrupter, als Katrin Neundorf sich das vorgestellt hatte. Elf Monate lang hatte die Kriminalhauptkommissarin ihre langjährige Erfahrung als leitende Ermittlerin des Stuttgarter Landeskriminalamtes genutzt, dem nach Höherem strebenden Nachwuchs ihres Berufsstandes Einblicke in die berufliche Realität zu vermitteln. Das Angebot, eine auf ein knappes Jahr befristete Lehrtätigkeit an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen zu übernehmen, war gerade rechtzeitig gekommen: Neundorfs Frust über das unübersehbare Ausmaß der Verquickung privater Interessen und der politischen Strippenzieher im Land und die fehlende Bereitschaft der Strafverfolgungsbehörden dagegen vorzugehen, hatte sie zu ernsthaften Überlegungen gebracht, den Dienst zu quittieren. Im Nachhinein betrachtet war es nur dem Einwand ihres Lebensgefährten Thomas Weiss zu verdanken, nicht zu schnell und zu emotional zu reagieren, dass sie die Sache noch einmal durchdacht hatte. Mitten in dieser Phase war das Angebot gekommen, für elf Monate an die Polizeihochschule zu wechseln.
Trotz der Tatsache, dass sie drei, manchmal auch vier Nächte je Woche von ihrem Sohn und ihrem Lebensgefährten getrennt war, hatte sie ihre Entscheidung nie bereut. Die Begegnung mit den oft sehr interessierten, meist jüngeren Frauen und Männern, kombiniert mit der von der Seminarleitung ausdrücklich erwünschten authentischen Berichterstattung aus ihrer langjährigen Berufserfahrung ließ sie zumindest einen Teil ihres Frusts kompensieren. Das Jahr war fast wie im Flug vergangen, der 20. September als Termin des Wiedereinstiegs in die gewohnte Ermittlertätigkeit mit Riesenschritten näher gerückt. Der Anruf am späten Samstagabend hatte diese Zeitspanne weiter verkürzt.
»Maria, du bist es?« Neundorf hatte die Stimme Maria Schmeckenbechers überrascht wahrgenommen. Ihre alte Bekannte und jetzt, als Abteilungsleiterin Gewaltkriminalität des LKA, neue Vorgesetzte hatte das Gespräch sofort persönlich, ohne jede Vermittlung eröffnet. »Sag nur, du bist jetzt noch im Amt.«
Der laute Seufzer war Antwort genug.
»Samstagabend kurz vor acht.«
»Es geht drunter und drüber. Die Leute sind alle unterwegs.«
»Du willst mich beruflich sprechen?«
»Mir wäre es lieber, wir könnten uns privat unterhalten.« Die stockende Stimme der Kriminaldirektorin brachte ihr unausgesprochenes Anliegen deutlich zum Ausdruck.
»Du hast eine Aufgabe für mich.«
»Der nächste Montag ist dein offizieller Dienstbeginn, ich weiß.«
»Aber es ist etwas passiert. Etwas Größeres.«
»Du bringst die Sache auf den Punkt.«
»Was und wo?«
»Ein Mann wurde angefahren. Er ist tot. Fahrerflucht oder Mord, keine Ahnung. Gegen 19.40 Uhr. Unterhalb von Rotenberg Richtung Untertürkheim.«
»Sozusagen bei mir vor der Haustür.«
»Na ja, nicht ganz. Aber …«
»Luftlinie fünf Kilometer. Was ist mit der Spurensicherung?«
»Die sind informiert. Es tut mir leid, Katrin. Aber die Kollegen sind alle auf Achse. Wir haben niemand mehr zur Verfügung. Du bist …«
»Schon unterwegs«, erklärte Neundorf. »Ich kenne den Job, keine Angst. Ich bin lange genug dabei.«
Der Ort, an dem es geschehen war, lag in der Höhe der scharfen Rechtskurve, die die Württembergstraße von Untertürkheim kommend etwa 150 Meter hinter den Sportplätzen vollzog. Er stach von Weitem schon aus seiner Umgebung, hatten die
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