Schwaben-Liebe
Spurensicherer hier doch mehrere gleißende Strahler aufgebaut, die jeden Quadratzentimeter Boden in taghelles Licht tauchten. Die Straße und die an dieser Stelle einmündenden Zufahrten zu den Weinbergen waren weiträumig abgesperrt, allen Fahrzeugen der Zugang unmöglich gemacht.
Neundorf, die von ihrer Wohnung im Waiblinger Ameisenbühl über Fellbach und den Stuttgarter Vorort Luginsland hergekommen war, parkte ihren Wagen etwa 100 Meter hinter den Sportplätzen unweit der Absperrung, zeigte den uniformierten Kollegen, die den ersten Ansturm Neugieriger abwehrten, ihren Ausweis. Die Beamten hoben das rotweiße Band in die Höhe, ließen sie passieren.
Neundorf lief weiter, sah einen großen, ursprünglich weißen, jetzt aber mit unzähligen dunkelroten Flecken und Schlieren verunstalteten Campingbus im grellen Licht aus dem Dunkel tauchen. Sie hatte Mühe, die gleißende Helligkeit zu ertragen, blieb einen Moment stehen, um ihre Augen daran zu gewöhnen. Als sie weiterlief, sah sie die Umrisse einer seltsam verrenkten Leiche vor dem Fahrzeug auf dem Boden liegen, umringt von drei in Plastiküberzüge gehüllten Gestalten. Obwohl sie die Männer einige Zeit nicht mehr getroffen hatte, erkannte sie sie auf der Stelle wieder.
»Alle achtzig Deifel von Sindelfinge, die Frau Professorin persönlich.« Helmut Rössle, einer der erfahrensten Spurensicherer des Amtes, der gerade dabei war, die Szenerie in unzähligen Variationen auf einen Chip zu bannen, streifte seine Plastiküberzieher ab, reichte ihr die Hand.
»Hauptkommissarin reicht«, frozzelte Neundorf. »Wie immer.«
»Seit wann …?« Rössle ließ den Rest der Frage offen.
»Seit fünfzehn Minuten«, antwortete sie. »Zwei Tage früher als geplant.«
»Das tut mir leid.« Dr. Kai Dolde, Rössles Kollege, hatte sich erhoben, begrüßte sie ebenfalls. »Aber die Kollegen sind wohl alle dienstlich unterwegs.«
Neundorf nickte, reichte auch noch Dr. Holger Schäffler, der mit der Begutachtung der Leiche beschäftigt war, die Hand, streifte sich dann Plastiküberzieher über Hände und Schuhe. Sie trat an Dolde vorbei, sah den Toten unmittelbar vor sich. Ein junger, übel zugerichteter Mann, dessen Kopf in einem unnatürlichen Winkel von seinem Körper abstand. Die langen, dunklen Locken von Blut verklebt, das rechte Auge seltsam eingedrückt. Sein Leib schien weit in die Breite gezogen, das rechte Bein aus seiner natürlichen Verankerung gelöst. Bekleidet war er mit einem in mehrere Teile zerrissenen hellen Jackett, einem ursprünglich wohl weißen Hemd und einer schwarzen Jeans.
»Und?«, fragte sie. »Was wissen wir?«
»Nicht viel«, antwortete der Gerichtsmediziner. »Ein bisher unbekannter Mann, Alter zwischen fünfundzwanzig und vierzig, vor etwa 45 Minuten wenige Meter von dieser Stelle entfernt mit hohem Tempo angefahren. Sein Körper prallte hier auf diesen Campingbus. Genickbruch als unmittelbare Todesursache.«
»Was ist mit dem Tatfahrzeug?«
»Leider unbekannt«, mischte sich Dr. Dolde ins Gespräch. »Wir haben bisher auch keinerlei Bremsspuren oder Ähnliches entdeckt. Allerdings müssen wir die Straße noch genauer untersuchen.«
»Wir wissen, um wen es sich bei dem Mann handelt?«
»Bisher nicht. Wir haben aber ein Handy in seiner Hose gefunden.« Dolde wies auf eine durchsichtige Plastiktüte in einem seiner Koffer, die am Rand der Fahrbahn aufgereiht lagen.
»Irgendwelche Zeugen?«
Der Spurensicherer schüttelte den Kopf. »Leider nicht, nein. Der Besitzer des Campingbusses wurde von dem Aufprall im Schlaf überrascht. Bis er das Auto verlassen hatte, war von einem Tatfahrzeug nichts mehr zu sehen. Er hörte nur noch den Motor eines Richtung Untertürkheim davonrasenden Wagens.«
Neundorf deutete auf das an der Seitenwand blutverschmierte Campingmobil. »Der schlief hier in seinem Bus?«
»Er sei kurz eingenickt, hat er den Kollegen erklärt. Er steht vorne bei ihnen, du kannst ihn sprechen.«
Sie musterte die Straße, sah die dunklen Schlieren unweit des Fahrzeugs auf dem Asphalt. »Der Campingbus hat hier geparkt, als der Mann auf ihn prallte. Er ist in dem Moment nicht gefahren. Daran gibt es keinen Zweifel, oder?«
Dolde schüttelte den Kopf. »Der war hier geparkt. Die Spuren am Fahrzeug und auf dem Boden sind eindeutig.«
»Haben wir Hinweise auf den Typ oder die Größe des Tatautos?«
Dr. Schäffler sah von dem Toten auf. »So weit bin ich noch nicht, nein. Dazu muss ich ihn noch genauer untersuchen.«
Neundorf
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