Schwaben-Messe
sollen. Ich würde verrückt.«
7.
Bürg war ein kleiner Ausflugs- und Erholungsort am Rande des Schwäbischen Waldes, seit einigen Jahrzehnten von der wenige Kilometer südlich gelegenen Stadt Winnenden eingemeindet. Die sauber verputzten, meist piekfein gepflegten Häuser zogen sich am Südwesthang eines Berges hoch, der an der Spitze gekrönt war von einem mehr als zwanzig Meter hohen, runden Turm. Unterhalb desselben erstreckten sich weitläufig Rebenhänge bis ins Tal, über dem Ort erhoben sich die Wipfel tiefgrüner Bergwälder.
Söhnle und Braig bewunderten die prächtigen Villen, die durch Hecken und Blumenrabatten voneinander abgegrenzt wurden und, bedingt durch ihre Lage am Steilhang, einen weiten Ausblick ins Tal ermöglichten. Sie stellten ihren Wagen auf einem kleinen Parkplatz ab, folgten der schmalen Straße steil nach oben. Der Weg war schweißtreibend, die Luft immer noch stickig schwül. Als sie auf der Spitze des Berges angekommen waren, sahen sie eine dicke Wolkenwand im Westen, die sich drohend am Himmel aufbaute. Der Abend oder die Nacht würden die angekündigten Gewitter bringen.
Am begehrtesten Platz des kleinen Ortes thronte eine weithin bekannte Wirtschaft, deren Name »Schöne Aussicht« ihr attraktivstes Merkmal kaum treffender zum Ausdruck bringen konnte. Hier bot sich eine faszinierende Rundumsicht weit über Winnenden, die benachbarten Städte Waiblingen und Fellbach sowie Stuttgart und Ludwigsburg hinweg bis zu den Höhen des Schwarzwalds und der Schwäbischen Alb. Das Lokal war jetzt schon gut besetzt, Scharen von Menschen standen vor dem Eingang, drängten zu den Tischen.
Braig und Söhnle fanden Grandels Anwesen ohne Probleme: Es erstreckte sich keine fünfzig Meter unterhalb der »Schönen Aussicht« direkt am Steilhang des Berges. Abgeschirmt von einer mannshohen Steinmauer war die prächtige Lage des Hauses von der schmalen Straße her kaum zu erahnen. Der Eingang wurde von einem breiten schmiedeeisernen Tor geschützt, das sich durch kunstvoll herausgearbeitete Tierfiguren auszeichnete. Durch das Gitter hindurch sahen sie auf ein bunt gemischtes Blumenbeet, das sich vom weiß verputzten Gebäude abhob.
Braig läutete, antwortete der Stimme, die sich über die Sprechanlage meldete. Die Frau reagierte schnell, kam aus dem Haus zum Tor, öffnete.
»Er ist verschwunden«, stieß sie hastig hervor, »seit gestern Abend.«
Sabine Grandel war schlank, Mitte dreißig, etwa 1,70 Meter groß. Ihre langen, hellblonden Haare reichten ihr weit über die Schulter. Dass sie ihr Gesicht stark geschminkt hatte, war unübersehbar: Die Lippen leuchteten dunkelrot, ihre Wimpern in kräftigem Schwarz, die Augen waren hellblau unterlegt, eine Farbe, die mit der ihres luftigen Sommerkleides korrespondierte.
Braig zeigte seinen Ausweis, stellte sich und seinen Kollegen vor, bat darum, ins Haus eintreten zu dürfen. Sabine Grandel lief vor ihnen her, führte sie in einen großen, auf drei Seiten mit mannshohen Panoramafenstern ausgestatteten Raum. Die Aussicht, die sich ihnen bot, war so überwältigend, dass es Braig fast den Atem raubte. Er vergaß für einige Sekunden, weshalb sie hergekommen waren, konzentrierte sich ganz auf das Panorama.
Der Berg fiel unmittelbar unter dem Fenster steil ab, offensichtlich ragte das Zimmer ein Stück weit über den Hang hinaus. Weinreben und Felder lagen unter ihnen, eine stark befahrene Straße, parallel dazu eine Bahnlinie, auf der gerade eine S-Bahn vorbeihuschte. Gleich hinter den Feldern erstreckten sich die Häuser und Fabrikanlagen des nahen Winnenden mit zwei alten Stadttürmen im Zentrum, die spitzgieblig emporragten. Hinter der Stadt im Vorort Schelmenholz die Bausünden vergangener Jahrzehnte: Weitläufige Hochhauskomplexe, die bis an den Wald und die Berge reichten. Weiter entfernt die Städte im Umland von Stuttgart, alle deutlich mit bloßem Auge auszumachen, dahinter im Kessel und auf den ihn umgebenden Bergen die Landeshauptstadt, gekrönt vom Fernsehturm und dessen Kollegen. Braig betrachtete die weitläufige Silhouette des Schwarzwalds und der Schwäbischen Alb, entdeckte die ersten Blitze, die sich aus der dunklen Wolkenwand im Nordwesten lösten.
»Ja, hier wohnen wir«, erklärte Sabine Grandel. Sie war es offensichtlich gewohnt, dass Besucher ihre gesamte Aufmerksamkeit erst dem Ausblick widmeten, bevor sie auf ihr eigentliches Anliegen zu sprechen kamen.
»Grandios«, lobte Söhnle, »seit wann haben Sie das Haus?«
Die Frau
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