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Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Körper sei am Explodieren, seine Eingeweide lösten sich auf. Alles, Muskeln, Knochen, Herz, Schädel, vibrierte. Der grauenvolle Lärm wollte nicht aufhören. Blitzartig kehrten seine Kopfschmerzen zurück. Braig vermochte keinen klaren Gedanken zu fassen, war wie gelähmt. Ohnmächtig wartete er darauf, dass das schreckliche Toben endlich nachlassen würde. Die Zeit schien stillzustehen. Braig war wie erstarrt, bewegte sich nicht mehr. Ewigkeiten vergingen, Jahrmillionen zogen ins Land. Nur langsam kehrte das Leben wieder in ihn zurück. Wie in Trance fasste er sich an die Schläfen, massierte seine Haut. Tausend Messer bohrten sich durch sein Gehirn. Er hatte Mühe, sich auf sein Vorhaben zu konzentrieren.
    Die Bäuerin stand vor ihm, deutete zum Himmel. »Deifel, elende«, schimpfte sie.
    Braigs Kopf dröhnte immer noch, gerade so, als sei das Flugzeug über ihnen stehen geblieben. Er rieb sich die Schläfen, klopfte seine Stirn mit den Fingerspitzen ab. »Passiert das oft?«, fragte er. Es bereitete ihm Mühe, deutlich zu sprechen.
    Die Frau wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab, stemmte sie in die Hüften. »Nie«, sagte sie, »es gibt nur noch leise Maschinen.«
    Braig holte tief Luft, verwünschte das Stechen in seinem Kopf.
    »So schwätzet die. Propaganda. Lüge, alles Lüge. Alle paar Minute flieget diese Deifel.«
    »Warum wohnen Sie hier?«, fragte er. »Wollen Sie nicht weg?«
    Die Frau lachte laut. »Sie sind gut. Von was sollet mir existiere? So viel Geld hent mir net, dass mir uns das aussuche könnet.«
    »Sie kennen die Umgebung?«
    »Net besonders. I bin erst seit drei Jahre hier, seit meinem Bruder seine Frau gestorbe isch. Dem wächst die Arbeit über den Kopf mit seinem Korn und Kraut. Der schaffts net mehr allein.«
    »Aber die Nachbarn hier sind Ihnen bekannt.«
    Die Frau schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Zu wenig, um Ihne was erzähle zu könne. Im Sommer sind mir drauße auf de Felder und schaffet, und im Winter hent mir damit zu tun, die Stallunge und die viele Maschine zu repariere, die für die Ernte benötigt werdet. Außer zu der Familie Weiß neben uns gibt es kaum Kontakt.«
    »Nicht zu Frau Krauter?«
    »I kenn die Frau kaum. Wirklich, keine Ahnung. I kann Ihne nix erzähle.«
    Steffen Braig musterte sie überrascht, rollte seinen Kopf langsam hin und her, um die Schmerzen zu vertreiben. War es möglich, dass sie über die kaum achthundert Meter entfernt lebende Nachbarin nichts wusste? Nichts, was für ihn und seine Ermittlungen relevant war?
    »Aber Sie bekommen es mit, wenn Frau Krauter ihre Feste feiert«, beharrte er, »das kann Ihnen doch nicht verborgen bleiben.«
    Die Bäuerin griff zu einer Hacke, riss Gras und Unkraut aus dem Boden. Sie hackte so kräftig, dass Wurzelreste und Erdbrocken zur Seite flogen. »Oh, sind Sie neugierig«, schnaufte sie, von der Arbeit außer Atem, »natürlich höret mir das, wenn die die halbe Nacht durch auf ihrem Hof singet und musizieret. Und die Feuer von dene sehet mir auch. Aber was geht uns das an?«
    Sie ließ sich nicht stören, rupfte das Beet am Rand des Gartens sauber. Braig wusste nicht, wie er ihren Widerstand knacken sollte.
    »Und wie war das in den letzten Nächten? Haben Sie sie wieder singen hören?«
    »In letzter Zeit?« Die Frau richtete sich auf. »Heute Nacht, ja klar. Es sind immer die Nächte am Ende der Woche, wenn die feiern, wahrscheinlich weil da Leut von überall her dazu kommet. Aber sie waren nicht besonders laut heut Nacht.«
    »Wieso? Konnten Sie sie sonst besser hören?« Braig spürte immer noch die Pressluftbohrer in seinem Gehirn, die das Flugzeug ausgelöst hatte.
    »Naja, das hängt immer von der Windrichtung ab«, antwortete die Frau, »und vom Lärm auf der Autobahn und der Bundesstraße. Je mehr Autos unterwegs sind, desto weniger höret mir natürlich in diese Nächte vom Krauter-Hof. Ganz abgesehen vom Flughafen, versteht sich.«
    Braig hatte Mühe, die Aussagen der Frau zu verarbeiten. »Dann kam der Wind heute Nacht wohl aus einer anderen Richtung«, überlegte er, »sonst fiel Ihnen nichts auf?«
    »Heute Nacht, nein. Nichts Besonderes, die Musik und das Singen auf dem Krauter-Hof halt. Nur heute Morgen, gegen früh, das war schon seltsam.« Die Bäuerin stützte sich mit der Rechten auf ihre Hacke, nestelte ein großes, weißes Taschentuch aus der Schürze. Sie formte das Tuch sorgfältig zu einem Ballen, fuhr sich damit über die Stirn, tupfte sich Schweißperlen und Schmutz von der

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