Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
Vom Netzwerk:
darum gesorgt, ausreichend Nahrung für den nächsten Tag zu finden, hatten monatelang gehungert oder sich mit minderwertigen Ersatzstoffen notdürftig über Wasser gehalten. Endlich war es wenigstens einem Teil der Menschheit gelungen, genügend Vorräte an Lebensmitteln, noch dazu in reichhaltiger Auswahl, zu erwirtschaften, über die man jederzeit mit relativ geringem finanziellen Einsatz verfügen konnte, und schon hatten etliche dieser Privilegierten, vor allem Frauen, nichts Besseres zu tun, als sich in regelrechten Gewaltakten auf teilweise lebensbedrohlich niedrige Körpergewichte herunterzuhungern.
    Eine der Hauptursachen für dieses irrationale Verhalten, so hatte er in einer Untersuchung gelesen, war der zunehmende Narzissmus der westlichen Gesellschaft. Von Modepäpsten vorgeschriebene äußerliche Schönheit erlangte in den vergangenen Jahrzehnten einen extrem hohen Stellenwert bei immer mehr Menschen. Die Zahl derer, die besser aussehen wollten, wuchs ständig, zugleich auch die Menge der Personen, die mit sich selbst, ihrem Äußeren, nicht zufrieden waren. Vor allem Frauen fanden sich immer öfter zu dick, ihren Busen zu klein oder die Haare zu dünn. Die Industrien, die an einer Veränderung dieser Schönheitsmängel verdienen wollten, nutzten den Trend, verstärkten ihn bewusst, klotzten mit Werbung wie nie zuvor. Ihr Einfluss bewirkte, dass schönes Aussehen im Denken vieler Menschen vom bloßen Traum zur dringend notwendigen Pflicht mutierte. Nicht mehr schön sein dürfen wurde zur Parole, sondern schön sein müssen.
    Zugleich verfielen die Werbemanager der Schönheitsindustrien auf eine für den Absatz ihrer Produkte geniale Strategie: Sie überschwemmten die potenziellen Konsumenten mit Bildern von jungen Menschen mit extrem dünnen Figuren, deren Körperbau mit normaler Ernährung einfach nicht zu erreichen war. Fotos von blassen, unberührt-frischen Siebzehnjährigen mit symmetrisch-sterilen Madonnengesichtern bevölkerten Bildschirme, Illustrierte und Plakatwände. »Drei Milliarden Frauen leben heute auf dieser Erde, die nicht wie Supermodels aussehen und nur acht, die so aussehen«, hatte einer dieser Konzerne – seine Werbelinie entlarvend – formuliert.
    Den Firmen der Schönheitsbranche gelang es dadurch, immer größere Unzufriedenheit bei immer mehr Menschen, vor allem Frauen, zu erzeugen, sie durch dieses latente Unwohlsein zu Konsumenten ihrer Produkte zu machen. Nur mit Kosmetikartikeln und Schlankheitspillen aus ihrem Haus, suggerierten Bilder und Schlagworte der heilen Werbewelt Tag für Tag, könnten Frauen diesem künstlich hergestellten Ideal nahekommen.
    Kein Wunder, überlegte Braig, dass in einer Welt, die solche künstliche angebliche Schönheit immer stärker betonte, die Anzahl der Menschen stieg, die körperliche Defekte bei sich selbst entdeckten: Hungern und Fasten wurden zur Konsequenz, Magersucht zur pathologisch übertriebenen Steigerung jener Lebensform, welche die Schönheitsindustrien Tag für Tag so überschwänglich priesen.
    Natürlich erhoben diese Untersuchungen nicht den Anspruch, Magersucht in allen Formen zu erklären, ihre Ursachen prinzipiell aufzudecken. Die Krankheit konnte genauso gut auf anderen psychischen Problemen, etwa mangelnder Zuwendung durch Partner oder Angehörige oder auch auf sexuellen Problemen, zum Beispiel als Folge einer Vergewaltigung basieren. Die Symptome der Magersucht waren so vielfältig wie ihre diffizilen Ursachen.
    Zudem war sich Braig keineswegs sicher, ob Frau Beranek wirklich an einer ausgeprägten Form der Magersucht litt. Vielleicht war ihr extrem dünner Körper Folge einer anderen Krankheit, vielleicht war es Veranlagung, Resultat ihrer Gene, obwohl er es kaum glauben konnte. Dazu schien sie ihm einfach zu ausgemergelt, zu dürr. Fragte sich nur, wie sie die schwere körperliche Arbeit, die sie hier in der Landwirtschaft bewältigen musste, durchhielt.
    Mirjana Beranek saß schweigend vor ihm, demonstrierte ihr Desinteresse. Irgendwie musste er mit ihr ins Gespräch kommen.
    »Sie hatten viel Arbeit auf dem Feld?«
    Sie nickte nur.
    »Aber heute Nacht feierten Sie mit?«
    »Warum nicht?«
    »Sie waren die ganze Zeit dabei?«
    »Was sollte ich sonst tun?«
    Der slawische Akzent ihrer Sprache war nicht zu überhören.
    »Sie sind seit fünf Jahren hier?«
    Sie nickte.
    »Woher kommen Sie?«
    »Im Süden von Tschechien.«
    »Sie hatten deutsche Verwandte?«
    Mirjana Beranek schüttelte den Kopf. »Gabriele und ich

Weitere Kostenlose Bücher