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Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Passanten zum Füttern zu animieren, waren verschwunden. Gegen die reißende Strömung heute Morgen hatten auch sie keine Chance.
    Tobias Blüm hatte die Brücke fast schon überquert, als er plötzlich einen seltsam verformten Gegenstand entdeckte, der sich am Wehr verfangen hatte und vom rasenden Wasser hin- und her geschleudert wurde. Direkt vor der kleinen Überdachung der Bushaltestelle trat er voll in die Bremse, riss den Lenker seines Fahrrads zur Seite. Er starrte ins Wasser, denn er glaubte, nicht richtig zu sehen, sprang vom Rad, stützte sich am Brückengeländer ab. Es war keine Puppe, das wurde ihm immer deutlicher bewusst, es handelte sich nicht um eine Täuschung, es war keine Fata Morgana. Tobias Blüm riss sich sein Taschentuch aus der Hose, wischte sich über die Augen, starrte auf seine Uhr. Zehn Minuten vor acht, Sonntagmorgen in Backnang, Rems-Murr-Kreis. Rechts von ihm die breiten Schaufenster eines Optikergeschäfts mit unzähligen Brillen in den Auslagen, im Obergeschoss des Hauses die Praxis eines Augenarztes, der Name auf dem Schild deutlich zu lesen, links unterhalb der Fluss mit dem Wehr in seiner Mitte: Tobias Blüm kam nicht umhin zu erkennen, dass das, was da mitten im Wasser hing, hin und her gerissen von den braunen Fluten, vor noch nicht allzu langer Zeit ein Mensch gewesen war, ein männliches Exemplar. Und genauso klar wie er begriff, dass das Leben dieser Person Vergangenheit war, genauso klar verinnerlichte er, dass auch das Geschlecht dieses Wesens verschwunden war, weg, abgetrennt, entfernt, von wem auch immer.
    Das laute Gebrüll des jungen Mannes weckte die wenigen Menschen, die in der Nähe der Brücke wohnten. Bis sie die Ursache der frühsonntäglichen Störung endlich erkannt und aufgespürt hatten, hing Tobias Blüm über das Brückengeländer gebeugt, den Kopf nach unten, alles von sich gebend, was er an diesem Morgen zu sich genommen hatte. Aus seinem Spielbericht an diesem Sonntag sollte ausnahmsweise nichts werden. Der Lokalteil der Backnanger Kreiszeitung hatte am nächsten Morgen ohnehin eine der dicksten Überschriften seiner Geschichte.

10.
    Bernhard Söhnle war der Erste, den Steffen Braig an diesem Sonntagmorgen aufsuchte Der Kollege war am Abend zuvor nicht gekommen, solange Braig das Gespräch mit Mirjana Beranek auch hinausgezögert hatte. Erst spät, nach zehn, hatte Söhnle sich aus dem Katharinenhospital gemeldet und von einem Unfall berichtet, dem er zum Opfer gefallen war. Er hatte den Sportwagen nicht gesehen, der auf sein Zivilfahrzeug geprallt war.
    »Der Kerl fuhr mindestens achtzig«, jammerte Söhnle, »mitten in der Stadt. Ich kann noch von Glück reden, dass er mich nur hinten erwischte. Eine Sekunde früher und er hätte mich voll von der Seite gerammt. Wer weiß, wo du jetzt meine Überreste zusammensuchen könntest.«
    Mindestens drei Tage noch in der Klinik, hatten die Ärzte erklärt, wenn keine größeren Komplikationen auftauchten. Söhnle litt unter mehreren schmerzhaften Prellungen der Rippen, einem Bluterguss an der Stirn, zwei gebrochenen Zehen.
    »Hauptsache, am Leben«, tröstete er sich selbst, als Braig sich verabschiedete, »was will man mehr.«
    Steffen Braig nahm die Stadtbahn nach Bad Cannstatt, überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Er musste sich die aktuelle Vermisstenliste ansehen, sie nochmals genau mit den Befunden des Pathologen vergleichen, dann die anderen Nachbarn Krauters aufsuchen und befragen, ob sie in der Mordnacht verdächtige Geräusche gehört oder Beobachtungen gemacht hätten. Sonntags waren die meisten Bauern hoffentlich zu Hause, eine optimale Gelegenheit also, die Leute zu befragen.
    Er lief die letzten fünfhundert Meter zu Fuß, erreichte das Amt, fuhr ins oberste Stockwerk. Als er am Zimmer Güblers vorbeikam, hörte er die laute Stimme seines Vorgesetzten, der sich offenkundig in einer heftigen Auseinandersetzung befand. Er wunderte sich, dass sich der Chef am Sonntag ins Büro bequemte, hörte seine Kollegin Neundorf antworten, nicht weniger scharf im Ton. Katrin Neundorf arbeitete seit mehreren Jahren als Kommissarin im Landeskriminalamt, galt als scharfsinnig, unkonventionell, außergewöhnlich erfolgreich. Obwohl Gübler ihr Vorgesetzter war, ließ sie sich von ihm nichts vorschreiben, präsentierte ihm stattdessen immer wieder aufs Neue Beweise seiner beruflichen Inkompetenz und menschlichen Charakterlosigkeit. Dass sie sich dadurch alle Karrierechancen verbaute, nahm sie in Kauf. Wenn es

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