Schwaben-Messe
draußen nicht im Wolkenbruch ersaufen oder vom Blitz erschlagen werden, stoßen sie vielleicht noch auf Reste von unserem Öl. Pflanzenöl. Nennen Sie es Droge, ist mir egal.«
»Wie viele Leute waren dabei?«
Gabriele Krauter verzog den Mund. »Keine Ahnung. Wer kommt, ist da. Der Termin war bekannt, der Ort auch.«
»Aber nur Frauen«, ergänzte er.
Sie setzte wieder ihren mitleidsvollen Blick auf, gab ihm zu verstehen, dass er in ihrer Rangordnung nicht weit von Gübler entfernt stand.
»Das ist, wie Ihnen Ihr werter Kollege und die Nachbarn sicher erzählt haben, unter Lesben so üblich, ja.«
Braig spürte, wie sich sein Magen verkrampfte, fragte sich, wo Söhnle so lange blieb. Er hatte Hunger, war müde, immer noch verschwitzt, spürte die anschwellenden Schmerzen in seinem Kopf, wollte endlich nach Hause. Die Aussagen der Frau kamen schnell, ohne langes Nachdenken, klangen logisch, jedenfalls auf den ersten Blick. Er war zu müde, sie in ihrer ganzen Bedeutung zu erfassen und zu beurteilen, spürte aber, dass seine ursprünglichen Verdachtsmomente unter ihren Argumenten zusammenbrechen würden wie ein Kartenhaus. Kein Staatsanwalt würde ihm ein Vorgehen gegen Frau Krauter zum gegenwärtigen Zeitpunkt unterschreiben. Er musste abwarten, ob sich auf dem Sandplatz verdächtige Substanzen finden würden und ob der Tote wirklich Roger Grandel war. Wer weiß, vielleicht lag der reale Roger Grandel gerade quickfidel mit einer Geliebten im Bett und seine gehörnte Frau ließ sich wegen seiner Abwesenheit graue Haare wachsen. Morgen war auch noch ein Tag, wahrscheinlich der geeignetere, um Entscheidungen zu treffen. Braig wollte nur noch die Ankunft Söhnles abwarten, dann würde er sich verziehen.
»Wo ist Ihre«, er zögerte, suchte nach dem passenden Ausdruck, »Freundin?«
Gabriele Krauter seufzte laut. »Wollen Sie Mira jetzt auch noch ausquetschen? Sie ist sehr müde. Der Tag war anstrengend. Sie hat schwer gearbeitet.«
Braig blieb hart. »Nur kurz. Dazu sollte sie noch imstande sein.«
Sie erhob sich mit mürrischem Gesicht, schaute auf die Uhr am Herd. »Halb Zehn. Samstagabend. Sie kriegen wohl nie genug, wie?«
Er ersparte sich eine Antwort, versuchte, einen Blick nach draußen zu werfen. Der Regen floss zwar weiter, doch nicht mehr in solchen Strömen. Blitze und Donner hatten sich verzogen.
Mirjana Beranek stand plötzlich vor ihm. Er hatte sie nicht gehört, keine Schritte, keinen Ton. Sie betrachtete ihn völlig ausdruckslos.
»Bitte«, sagte er, erhob sich kurz, wies auf den Stuhl, den vorher Gabriele Krauter benutzt hatte, streckte der Frau die Hand entgegen.
Sie reagierte nicht.
»Nehmen Sie bitte Platz«, erklärte er.
Sie sagte kein Wort, setzte sich.
Er ging zu seinem Stuhl zurück, ließ sich nieder.
Sie sah noch dünner aus als heute Morgen. Ihr T-Shirt hing wie ein viel zu weiter Umhang lommelig über ihrem Oberkörper, die dünnen Arme ragten wie schmale Holzstecken, die man zum Emporranken von Pflanzen benützt, daraus hervor. Dem abgearbeiteten, knochigen Gesicht fehlte nur noch die dunkle Farbe, um die Frau ohne den Hauch eines Zweifels einem afrikanischen Elendsgebiet, das seit Monaten von Hunger und Dürre geprägt war, zuordnen zu können. Magersucht im schlimmsten Stadium. Wie bei Nadja.
Braig erinnerte sich an die Wochen, die er mit ihr verbracht hatte, anfangs eine schöne, weitgehend sorgenfreie Zeit, bald danach aber ein Hin und Her zwischen Faszination und Fremdheit. Der Mantel der Verliebtheit, der sich bei beiden schützend über den anderen gelegt hatte, den wahren Kern darunter allzu wohlgefällig verbergend, war schnell von einem Sturm der Auseinandersetzungen emporgehoben und schließlich endgültig weggeweht worden. Nadja hatte ihm nie erzählt, was der Auslöser für ihre penetrante Weigerung war, Nahrung in ausreichender Menge zu sich zu nehmen. Wenn er selbst nach einem langen Arbeitstag, hungrig wie ein junges Tier, Mühe hatte, mit einer normalen Mahlzeit satt zu werden, saß sie dabei, ein Glas Wasser in der Hand, einen winzigen Kinderteller mit dünnen Salatblättern vor sich, nach einer halben Stunde nicht einmal zur Hälfte geleert. War es wirklich verwunderlich, dass ihr gemeinsames Essen mehr und mehr in eine Auseinandersetzung um einen vernünftigen, gesunden Lebensstil eskalierte?
Braig hatte lange darüber nachgedacht, was im Endeffekt die Ursache für dieses selbstquälerische Verhalten war. Jahrtausende lang hatten sich die Menschen
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