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Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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lernten uns kennen. Auf einem Frauencamp in Ungarn.«
    Irgendetwas störte ihn. Er wusste nur nicht, was.
    »Sie kennen Herrn Grandel?«
    Zum ersten Mal zeigte ihr Gesicht eine deutliche Reaktion. »Das geht wohl nicht anders, wenn man mit Gabriele zusammenlebt.«
    »Was halten Sie von ihm?«
    Für den Augenblick einer Sekunde hatte sie sich nicht mehr unter Kontrolle. Ihre Miene verzog sich zur bitteren Grimasse. »Djavo nek ga odnese. Er hat uns große Schwierigkeiten bereitet.«
    Braig hatte das Schimpfwort deutlich verstanden. Er beherrschte die serbokroatische Heimatsprache seiner Mutter zwar nur noch bruchstückhaft, so schlecht sogar, dass er sich ständig neuen Vorwürfen des Verrats seiner Herkunft ausgesetzt sah, wenn er im Reflex seiner Mutter jugoslawisch radebrechend antwortete. Immerhin hatte er sie aber noch so gut im Kopf, dass er tschechische, russische oder andere slawische Ausdrücke oft ohne Probleme verstand. Den Ausdruck, den Beranek eben benutzt hatte, gab es wortgleich im Serbokroatischen. Es war ein derbes Schimpfwort: »Der Teufel soll ihn holen!«
    Nur gut, dass sie nicht wusste, wie gut er die Bedeutung der Worte verstand.
    »Schwierigkeiten?«, fragte er.
    »Haben Sie den Lärm nicht gehört? Tag und Nacht, bis auf wenige Stunden, starten und landen die Maschinen, glauben Sie, das Leben hier ist besonders reizvoll?«
    »Warum gehen Sie nicht weg?«, fragte er.
    »Genau das hätte er gerne. Dass alle Bauern hier aufgeben und sie ihr Fluggelände weiter vergrößern können. Ich will Gabriele helfen zu bleiben. Die Leute hier können nicht gerade so weg, es ist sehr fruchtbares Land. Viel ertragreicher als bei uns zu Hause. Es ist ein Skandal, so gutes Land mit Beton zuzugießen.« Ihr Akzent war nicht zu überhören. Er erinnerte ihn verblüffend genau an die radebrechende Aussprache seiner Mutter, wenn sie sich im Deutschen versuchte.
    »Die Arbeit für den Flughafen ist Grandels Beruf«, versuchte er zu beschwichtigen.
    Ihr Gesicht überzog sich einen Augenblick lang mit Hass und Aggression. »Ta stoka nek krepa! Wie verkommen muss ein Mensch sein, davon zu leben, andere mit Lärm und Abgasen zu belästigen und sie von ihrem Land zu vertreiben? Muss ich Verbrecher sein, um mein Geld zu verdienen? Haben Sie kein anderes Thema als diesen Widerling?«
    Braig hatte auch diesen Fluch genau verstanden, Wort für Wort. Er wunderte sich, dass das Tschechische mit dem Serbokroatischen so weit identisch war. »Dieses Stück Vieh, soll er doch krepieren!« Die Frau musste einen gewaltigen Hass auf Grandel in sich tragen. Ob die beiden ihn doch auf dem Gewissen hatten?
    Er war zu müde, zu erschöpft, zu hungrig, spürte wieder das Pochen in seinem Schädel, wartete nur noch auf das Erscheinen von Söhnle, um das Gespräch zu beenden.
    »Man müsste den Mann beseitigen, wenn er ein solch ekelhaftes Schwein ist«, sagte er langsam, beobachtete genau ihre Reaktion.
    Sie ging ihm nicht in die Falle. Mirjana Beranek starrte zur Seite, gab ihm keine Antwort.

9.
    Zehn Minuten nach Sechs wurde Tobias Blüm wach. Die Sommersonne tauchte das nach Osten gelegene Zimmer in ein gleißendes Licht, riss ihn unbarmherzig aus dem Schlaf. Er hatte das Fenster nach dem Ende des schweren Gewitters in der Nacht aufgeklappt, um frische, kühlere Luft einzulassen. Jetzt hörte er das Zwitschern der ersten Vögel, das leichte Wogen der Büsche draußen im flauen Wind, den Motor eines Fahrzeugs weiter entfernt, irgendwo in der Stadt. Das Haus lag mitten in einem Neubaugebiet am Hang über Backnang, keine zehn Minuten vom Zentrum entfernt.
    Tobias Blüm war seit frühester Kindheit begeisterter Sportler. Alles, was mit Bewegung und Abenteuer zu tun hatte, reizte sein Interesse. Er war aktiver Fußballer, spielte in der Ersatzmannschaft eines Vereins, beteiligte sich an Langstrecken- und Marathonläufen, fuhr möglichst viel Rad, um seine Kondition zu fördern. Nach dem Abitur vor fünf Jahren hatte er seinen Zivildienst im Staigacker, einem außerhalb der Stadt mitten im Grünen gelegenen großen Altenheim abgedient, eine, wie er urteilte, physisch zwar leicht zu bewältigende, psychisch jedoch um so mehr belastende Zeit, war es ihm doch oft sehr schwergefallen, angesichts der Marotten einiger alter, leicht seniler Insassen Nerven und Freundlichkeit zu bewahren. Dass Blüm anschließend zum Sportstudium nach Tübingen gewechselt war, hatte er bis heute nicht eine Minute bereut; seine beiden Begleitfächer, Germanistik und

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