Schwaben-Messe
Braig zu Hause antraf. Die Nachbarn hatten nicht geöffnet, waren wohl zu Besuchen oder Ausflügen unterwegs.
Die Landwirtsfamilie begrüßte ihn freundlich und interessiert, offensichtlich erfreut darüber, einen kompetenten Gesprächspartner zu finden, mit dem man über das schlimme Geschehen in der Nachbarschaft reden konnte.
»Ihnen ist nichts aufgefallen in der Nacht von Freitag auf Samstag?«, fragte Braig.
Sie hatten ihn in eine gemütlich eingerichtete, altmodische Wohnstube geführt, in der ein schwerer Eichentisch in der Mitte, ein älteres Klavier an der Längsseite und ein mächtiges, in dunkelrotem Samt bezogenes Sofa dominierten. An der gegenüberliegenden Wand hing ein großes, von einem breiten Rahmen eingefasstes Gemälde, das Braig sofort als Leonardo da Vincis Abendmahl erkannte. Das Klavier war aufgeklappt, die Tasten in der Mitte der Tonleiter abgegriffen, allesamt deutlich vergilbt. Auf dem Notenbrett standen mehrere alte Gesangbücher, zwei davon offen. Braig vermutete, einen der beiden Partner beim Musizieren gestört zu haben. Der runde Drehstuhl vor dem Klavier schien fast bis zum äußersten Anschlag ausgefahren. Auf dem wuchtigen Tisch lag eine dicke Leinendecke mit Stickereien auf allen Seiten, darüber, aufgeschlagen, eine große, alte Bibel mit verschnörkelten Anfangsbuchstaben. Braig wusste, dass die Gegend traditionell viele christlich engagierte Menschen beheimatete.
Er nahm auf dem breiten Sofa Platz.
»Mir würdet Ihne gerne helfe«, erklärte Heinrich Seeger, »aber i wüsst net, was mir dazu beitrage könnet. Leider.«
Er war knapp über fünfzig, trug ein weißes Leinenhemd und dunkelblaue Hosen. Ein Kranz aus dunklen Haaren umrahmte seine schmale Glatze, die Nase stach überdimensioniert lang aus seinem Gesicht. Am Kinn und auf den Wangen zeigten sich dunkle Bartstoppeln. Auf den ersten Blick machte er einen etwas unbeholfenen Eindruck.
»Irgendein ungewöhnliches Geräusch, eine Beobachtung, die auffällt.«
»Wirklich, mir würdet gern helfe. Aber die letzte Täg waret alle so voller Arbeit wegen dem Wetter, wisset Sie, mir hent uns beeile müsse wegen dem Gewitter, das Korn einzuhole. Das ging bis weit in die Nacht. Und anschließend sind mir so fertig, dass mir net viel mitkrieget.«
»Aber das Fest von Frau Krauter hörten Sie.«
»Ja, wenn die singet, das klingt sehr schön. Aber das war uns leider zu spät, sonscht hättet mir gern mitgefeiert.«
Braig schaute den Mann überrascht an. »Wie? Sie haben keine Angst vor deren satanischen Beschwörungen?«
»Ach, schwätzet Sie doch net so a Zeugs!« mischte sich Emma Seeger ins Gespräch, »die Fraue müsset genug leide unter dene Verleumdunge!« Sie trug eine helle, mit fein ziselierten Stickereien geschmückte Bluse, einen langen dunklen Rock. Die Haare hatte sie zu Zöpfen geflochten rings um den Kopf gelegt. Ihre Wangen glänzten rot, die Haut war von der Sonne gebräunt.
»Sie kennen Frau Krauter näher?«, fragte Braig.
»Ha, das bleibt wohl kaum aus, wenn man so lang nebeeinander lebt.«
»Immerhin ungefähr fünfhundert Meter entfernt.«
»Ach was«, erwiderte Heinrich Seeger, »als Baure sind mir aufeinander angwiese, da hilft einer dem andere. Mal benutzet mir unsere Maschine zusamme, dann wieder dene ihre. Das hent meine und der Krautere ihre Schwiegereltern schon so gmacht. Unter anständige Leut gehört sich das so!«
Braig erinnerte sich, dass er gestern ganz andere Antworten erhalten hatte. »Das wundert mich schon. Nicht alle Nachbarn denken so.«
Der Mann winkte ab. »Des isch immer so. Es gibt sottiche und sottiche. Die oine sind dafür, die andere dagege. Aber mir müsset zusammehalte gegen diese Deifel, die uns alle ruiniere wollet.«
»Von wem sprechen Sie?«
»Ha, von wem wohl? Die ganze Großkotzige in Stuttgart von dem Teufel mitsamt seine Minister bis zu dene Flughafen- und Messe-Verbrecher. Die dätet am liebste doch das ganze Land zubetoniere. Autofahre und fliege, des isch alles, was die noch im Kopf hent. Von Gehirn keine Spur.«
»Die bemühen sich um neue Arbeitsplätze«, warf Braig ein.
»Neue Arbeitsplätze?« Heinrich Seegers Stimme drohte sich zu überschlagen. »Wenn i meinen Glaube an Jesus net hätt, dät i jetzt losbrülle. Wo schaffet die Arbeitsplätze? Wenn die Leut nach Mallorca oder in die Dominikanische Republik in Urlaub flieget, wo bringt das bei uns Arbeitsplätze? Warum schwätzet Sie dene ihre verlogene Propaganda nach? Ganz im Gegenteil, der
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