Schwaben-Messe
Flughafen bringt doch nur Elend, macht Tausende von Arbeitsplätze kaputt: Die ganze Leut, die hier wegflieget, fehlet doch am Bodensee, im Schwarzwald, auf der Alb, überhaupt bei uns in Mitteleuropa als Touristen. Überall bei uns gehen die Übernachtungszahle zurück, müsset die Leut ihre Pensione schließe, weil alle Welt bei uns nur noch weit weg will. Und was isch hier bei uns? Immer mehr verbautes Land, Lärm und abgasverseuchte Luft. Das lasset die feine Fluggäste für uns zurück.«
Emma Seeger stand auf, nahm die große, alte Bibel, legte sie vor ihrem Mann auf den Tisch. »Hier, Heinrich«, sagte sie ermahnend, »leg deine Hand auf Gottes Wort, damit du dich net so aufregsch.«
Der Mann nickte mit dem Kopf, tat, wie ihm geheißen. »Du hasch Recht, Emma«, brummte er, die Wangen leicht gerötet, »aber wenn ich an die Verbrecher der Landesregierung in Stuttgart denk, no ganget die Gäul allesamt mit mir durch. Diese elende Lügebeutel.«
»Isch ja kein Wunder, bei dem, was die mit uns planet«, stimmte seine Frau ihm zu.
Heinrich Seeger blickte Braig mit großen Augen an. »Die wollet uns enteigne, wisset Sie? Der Teufel und der Kering wollet uns unser Land wegnehme, um zu dem Flughafen und der Autobahn jetzt auch noch eine neue Messe zu bauen. Enteignen, die Leut, deren Familie seit Jahrhunderte hier lebe. Die fruchtbarsten Böde, die es im gesamte Süde überhaupt gibt. Enteigne, bei uns im Schwabeland. Wisset Sie, worauf ich bisher immer stolz war? Auf unsere schwäbische Geschichte und unsere demokratische Tradition. Sie kennet unsere Historie?«
Braig schüttelte den Kopf.
»Das älteste Gesetzbuch in ganz Deutschland, das alle Menschen vor der Willkür ihrer Nachbarn und der Mächtigen schützt, wurde vor fast eintausendvierhundert Jahren um 620 nach Christus im Schwäbischen verfasst: Der Pactus Alamannorum. In diesem Gesetz werdet Haus und Hof der Bauern als unberührbares Eigentum vor jeder Nachstellung bewahrt. Übeltäter, so isch es vor vierzehnhundert Jahr notiert worde, die das Haus oder den Stall eines Landwirts beschädige, müsset alles wiederherstelle und ersetze. Und fascht tausend Jahre später am achten Juli Fünfzehnhundertvierzehn hat der schwäbische Herzog Ulrich mit den wohlhabende Bürgern der Städte und den Prälaten einen Vertrag geschlosse, dass er ohne ihre Zustimmung kein Land kaufe oder verkaufe darf. Vor fascht fünfhundert Jahre, noch vor der Reformation! Württemberg war berühmt in der ganzen Welt für seine demokratische Verfassung. Außer England gab es kein anderes Land, nur noch uns Schwaben, wo der Herrscher seine Untertanen nicht mit Willkür behandeln konnte. Aber heute im neuen Jahrtausend will diese Landesregierung in Stuttgart hier ihre Bauern enteignen – zum ersten Mal in der Geschichte des Landes. Schlimmer als im Mittelalter. Der Teufel hat seinen Namen net zu Unrecht.«
»Zum Glück hent mir die Frau Krauter«, erklärte Emma Seeger, »die stellt sich dene Großkotzige wenigstens in den Weg. Solange die Seite an Seite mit uns gegen den Teufel und den Kering kämpft, solange verlieret mir net unsren Mut.«
»Auch wenn Frau Krauter vielleicht manchmal etwas gewalttätig wird?«
Emma Seeger fuhr sich mit der Hand über die Haare, nestelte ihren Zopf zurecht. »Schwätzet Sie net solch einen Krampf! Die Krautere kann keiner Fliege auch nur ein Haar krümme!«
14.
Wolfgang Jahn fühlte sich überwacht und verfolgt, hatte Angst, einfach Angst. Seit Wochen glaubte er, dass sie hinter ihm her waren, neue, immer wieder frische, unbekannte Gesichter, und je länger er darüber nachdachte und darauf achtete, ob sie begründet wäre, diese Angst, oder nur auf einem Wahn beruhe, desto mehr fühlte er sich bestätigt.
Wolfgang Jahn blieb stehen, mitten in der Esslinger Fußgängerzone und schaute sich um. Das junge Paar hinter ihm starrte ihn überrascht an, den Mann mit dem weißen Hemd über dem schwabbligen Bierbauch, der hellen Leinenjacke, die seine breiten Schulter bedeckte. Wie ein Spanner stand er da mitten auf der Inneren Brücke, begaffte die beiden mit angespannter Miene von Kopf bis Fuß, die Gesichter, die Augen, die Hälse, starrte ihnen sogar noch nach, als sie im Bogen um ihn herumliefen, um ihm aus dem Weg zu gehen. Die Straßenbeleuchtung war gerade angesprungen, tauchte den warmen Sommerabend in ein mildes, romantisches Licht. Schaufensterauslagen präsentierten Glanzpunkte der neuesten Mode, bunte Plakate lockten mit dicken
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