Schwaben-Messe
Die Alte schirmte ihn ab, ließ ihn nicht an ihn heran. Ob sie von ihrer gemeinsamen Vergangenheit wusste?
Jahn glaubte es nicht. Damals war Ogi zwar schon locker mit ihr befreundet gewesen, doch von ihren gemeinsamen Exkursionen hatte er ihr wohl kaum erzählt, vielmehr sportliche Aktivitäten vorgeschützt, so wie er selbst auch Mona gegenüber. Er musste Ogi erreichen, ihn auf die bedrohliche Situation ansprechen, ihn fragen, wie er sich schützen könne.
Er hatte keine Lust, jetzt schon nach Hause zu gehen, sich vor die Flimmerkiste zu setzen und nach verdächtigen Geräuschen zu fahnden, die Knarre vor lauter Angst in der Hand, dann irgendwann in einen unruhigen Schlaf zu versinken, alle paar Stunden von Albträumen geplagt schweißgebadet in die Höhe zu schießen und in sämtliche Zimmer des Hauses zu rennen, um die vermeintlichen Verfolger aufzuspüren, wie er das in den letzten Wochen getan hatte. Es war ein Fehler gewesen, sich heute mittag mit Mona zu treffen, sich im teuersten Restaurant der Stadt ihr Gejammer und Gelaber anzuhören und an längst vergangene Zeiten zu denken.
Jahn schlenderte langsam am Rathaus vorbei, blickte nach oben zur Burg, die von Scheinwerfern angestrahlt, hell aus dem Dämmerlicht der Umgebung tauchte. Esslingen war eine alte, traditionsreiche Stadt, unweit von Stuttgart an einer Furt des Neckars im frühen Mittelalter entstanden. Alle Karren und Wagen, die auf der berühmten Reichsstraße von Antwerpen über Speyer nach Augsburg, Innsbruck, Bozen und Venedig unterwegs waren, passierten hier die Brücke über den Fluss und entrichteten teuren Zoll. In der Stauferzeit erwuchs aus der Siedlung eine für damalige Verhältnisse große Stadt, die immer stärkeren Einfluss bekam und sich schließlich zur Freien Evangelischen Reichsstadt entwickelte, dem benachbarten, erst viel später gegründeten Stuttgart jahrhundertelang überlegen.
Jahn starrte nach oben, sah die überdachte Treppe, die in die alte Burgmauer eingelassen war und mit weit mehr als hundert Stufen steil nach oben führte. Er beschloss, sich einen Blick auf die hell erleuchtete Stadt zu gönnen, schlenderte langsam auf die Treppe zu.
Die Heirat mit Mona war der größte Fehler gewesen. Damit hatte alles angefangen. Die irren, verrückten Autorennen mit Ogi, Rasereien über nachtschlafende, einsame Landstraßen, ihre nächtlichen Motorradtouren über Stock und Stein in abgelegenen Schwarzwald-Regionen, die Saufgelage und Techtelmechtel in zwielichtigen Etablissements, alle Vergnügungen ihrer wilden Jugendzeit waren mit dem Eintritt in diese nach außen so wohlgeordnete, gutbürgerliche Ehe aus und vorbei. Mona, die akkurate, gepflegte Studienrätin mit ihrem ausgeprägtem Sinn für wohlgefällige Selbstdarstellung, hatte nichts übrig für naive Dumme-Jungen-Streiche, die nur ein schlechtes Licht auf ihre Beziehung zu werfen drohten. Sie gab sich voll und ganz ihrem Beruf hin, unterrichtete Französisch und Geschichte, bereitete sich jeden Tag bis weit in den Abend hinein auf ihre Stunden vor, korrigierte Tag und Nacht irgendwelche Klausuren, Diktate, Kurzarbeiten. Selbst an den Wochenenden blieb ihr nicht viel Zeit für gemeinsame Unternehmungen. Ganze Samstage und Sonntage hindurch entwarf sie neue Modelle, um den zu vermittelnden Stoff spannend und für die meisten Schülerinnen und Schüler möglichst interessant zu präsentieren.
Anstatt ihm Freiräume für sein eigenes Leben zu gewähren, erwartete sie dieselbe berufliche Disziplin auch von ihm, vermochte nicht zu begreifen, dass er das von ihm gegründete und in mehrjähriger Arbeit auf solide Fundamente gestellte Autohaus nicht als Sinn, sondern nur als Geldquelle seines Lebens betrachtete.
Doch je länger sie sich in ihre ungeliebte, allein sachdienliche Zweckehe zwangen, desto mehr bröselte das ohnehin von Anfang an wacklige Fundament, wuchs der Wunsch nach Freiheit, nach einem Leben eigener Fasson. Ihre Arbeitswut, die akkurate Pingeligkeit im Beruflichen wie im Privaten, würgten ihm die Luft in einem solchen Ausmaß ab, dass er zu ersticken drohte.
Ogis Vorschlag war genau im richtigen Moment erfolgt. Als er ihm das Angebot Ewos mitteilte und hartnäckig auf ihn einredete mitzumachen, sich aufzuraffen zu diesem einzigartigen Abenteuer, war ihm das wie ein Sonnentag nach einer wochenlangen Regenperiode erschienen. Die erste gemeinsame Tour, wie sie es vor ihren Frauen vornehm umschrieben, war für ihn der Ausbruch aus jahrelanger Gefangenschaft in
Weitere Kostenlose Bücher