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Schwaben-Rache

Schwaben-Rache

Titel: Schwaben-Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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seine psychische Genesung. Je länger er sich von ihrem offenen und indirekten Flehen, sie nicht zu verlassen, in der gemeinsamen Wohnung hatte festnageln lassen, desto heftiger hatte sie sich an ihn geklammert, ihm bewusst und unbewusst jeden Freiraum entzogen, auf jede neue weibliche Bekanntschaft völlig unkontrolliert und voller Hass und Eifersucht reagiert und sie als Konkurrentin und Bedrohung der eigenen Existenz madig zu machen versucht. Kopfschmerzen in immer heftigerem Ausmaß waren bei ihm die Folge gewesen; depressive Verstimmungen, Heulkrämpfe und tagelange Niedergeschlagenheit hatten ihn gequält, bis ihm die Trennung endlich andere Perspektiven eröffnet und neuen Lebensmut eingehaucht hatte.
    Natürlich war seine Mutter mit dieser Entscheidung nicht einverstanden gewesen, hatte dagegen opponiert und alles versucht, ihn doch noch umzustimmen. Ihre ständigen, monoton anmutenden Vorwürfe, er habe sein eigenes Fleisch und Blut verraten und aus reiner Bequemlichkeit den Menschen vergessen, der ihn geboren und umsorgt, gehegt, gepflegt und großgezogen habe, gestalteten heute noch jeden Besuch und jedes Telefonat mit ihr zu einem die Nerven aufs Äußerste belastenden Ereignis. Doch aller von ihr inszenierter Psychoterror konnte ihn nicht dazu bringen, seine Entscheidung zu revidieren, ganz im Gegenteil. Auch die Tatsache, dass sie ihre Heimat, Jugoslawien, vor mehr als dreißig Jahren ohne jede Kenntnis der fremden Sprache und des neuen Landes mit ihren beiden kleinen Kindern Hals über Kopf verlassen hatte, nachdem ihr das Verhältnis des eigenen Ehemannes mit dem Kindermädchen bekannt geworden war, und sie deshalb heute in einem Land lebte, das sie trotz aller in den vergangenen Jahrzehnten errungenen Vertrautheiten und menschlichen Beziehungen noch immer nicht als volle Heimat betrachtete, konnte ihn nicht zu einer Änderung seines Entschlusses veranlassen. Der elende Krebstod seiner älteren Schwester vor drei Jahren hatte die Mutter noch stärker an ihren einzigen Sohn gebunden – aber er wurde von dieser Liebe, dieser Fessel erdrückt, ihm fehlte die Luft, die er zum Atmen brauchte.
    Seitdem er in Stuttgart lebte, hatte er es sich angewöhnt, sie mindestens einmal in der Woche – sofern sein Dienstplan dies erlaubte – zu besuchen, um ihr damit anhaltende enge Vertrautheit zu demonstrieren, auch wenn sie fast jede ihrer Begegnungen am Ende doch wieder dazu benutzte, ihm einen Katalog voller hasserfüllter Anklagen hinterher-zuschleudern. Und so sehr er sich gegen ihre Bezichtigungen immunisiert glaubte, plagten ihn in der Nacht und am nächsten Tag regelmäßig heftige Kopfschmerzen, denen er meist nur mit einer Handvoll Aspirin zu entkommen wusste.
    »Wollen Sie jetzt die Männer sprechen?«
    Steffen Braig schreckte aus seinen Gedanken hoch, bemerkte den Kollegen vor sich und nickte mechanisch.
    Sie liefen die Straße entlang zum Dorf zurück. Sich zu unterhalten war nicht möglich, Fahrzeug auf Fahrzeug raste vorbei. Er blickte sich um, betrachtete die Landschaft. Weit über dem Friedhof, ganz am oberen Rand des Dorfes, sah er ein Haus und eine kleine Kirche.
    »Was ist das für eine Kirche?«, fragte er.
    Der Wachtmeister verstand ihn erst, nachdem er die Frage zweimal, immer lauter schreiend, wiederholt hatte.
    »Die von Lauberg.«
    »So weit außerhalb?« Er hatte mit Religion weiß Gott nicht viel im Sinn, aber diese bauliche Konstellation überraschte ihn. Befanden sich Kirchen nicht meistens in der Mitte einer Siedlung? An welches Dorf oder welche Stadt er sich auch erinnerte, das jeweilige Gotteshaus hatte fast immer einen der besten Plätze in der Gemeinde für sich in Anspruch genommen. Gehörte zu einer heilen Welt nach konventioneller Auffassung nicht sprichwörtlich die Kirche mitten im Dorf? Seltsamer Ort, überlegte er, als er das kleine Gebäude samt angrenzendem Haus so weit außerhalb des Dorfes betrachtete.
    »Wer wohnt dort?«
    »Der Pfarrer.«
    Das Bauwerk stand hoch über dem Friedhof. Von unten schien es ihm, als ob man von der Kirche und dem Pfarrhaus aus die beiden Tatorte gut sehen konnte. Sehr gut sogar. Ob der Pfarrer oder jemand aus seiner Familie zufällig etwas von dem Geschehen heute Nacht mitbekommen hatte? Er musste den Mann unbedingt sprechen.
    Mittlerweile hatten sie den Anfang des Dorfes fast erreicht. Auf der anderen Seite der Straße erstreckten sich die weitläufigen Anlagen eines Elektro-Umspannwerks, dann folgte am Ortseingang eine offensichtlich neu

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