Schwaben-Rache
Dorfes wuchs, erzählte er.
»Hinter einem Busch?«, fragte Gübler, immer noch aschfahl im Gesicht.
»Klingt direkt idyllisch«, meinte Neundorf.
»Idyllisch! Sie sind wohl vollends übergeschnappt«, schrie ihr Chef, »begreifen Sie immer noch nicht, um was es hier geht?«
Neundorf schüttelte den Kopf. »Sie etwa?«
»Terror. Blanker Terror«, brüllte Gübler.
»Als idyllisch lässt sich die Gegend in der Tat nicht bezeichnen«, erklang nun die Stimme des örtlichen Polizeiobermeisters durchs Telefon, der von den Journalisten als Erster an den Tatort gerufen worden war, »der Friedhof liegt leider direkt an der B 14.«
»Wo?« Gübler war verwirrt durch die neuen Ereignisse.
»B-u-n-d-e-s-s-t-r-a-ß-e«, wiederholte Neundorf, indem sie jeden Buchstaben einzeln vortrug, »Numero vierzehn.«
Gübler lief wütend im Raum hin und her.
»Es muss eine brutale Nacht für ihn gewesen sein. Bei dem Straßenlärm finden nicht mal die Toten Ruhe«, feixte der Journalist. Der Lautsprecher des Telefons war auf maximale Leistung eingestellt.
»Sehr humorvoll«, maulte der Kriminalrat.
»Ich bitte um Verzeihung.«
»Wer ist der Mann?«, fragte Steffen Braig.
»Er stammt aus dem Dorf«, antwortete der Journalist.
»Lauberg?«
»Ja.«
»Beruf?«
»Arbeiter in einer Maschinenbau-Firma, soweit ich erfahren habe.«
»Na ja gut, dann ist die Sache halb so schlimm.«
»Hauptsache, kein Bonze, ja?«, ergänzte Neundorf.
Güblers Augen schickten Blitze der Vernichtung in ihre Richtung.
»Und das zweite Opfer?«, fragte Braig.
»Fanden wir etwa zweihundert Meter weiter an einen Baum gebunden. Ebenfalls direkt an der Bundesstraße«, erklärte der Polizeiobermeister. Er sprach das Wort ›Bundesstraße‹ betont deutlich und langsam aus. Gübler bemerkte den telefonisch verordneten Seitenhieb nicht.
»Beruf?«
»Politiker.«
Der Rest an Farbe verschwand aus dem Gesicht des Kriminalrats. »Oh mein Gott, jetzt haben wir's. Garantiert. Politiker! Aber Sie wollten ja nicht auf mich hören, Braig. Mit solchen Leuten muss ich arbeiten!« Er schlug sich die Hände vors Gesicht, trat zur Seite.
»Was meinen Sie?«, fragte Braig.
»Die Sonderkommission. Bei so einem hohen Mann!«
»Ist auch nur ein Mensch«, brummte Neundorf.
»Verstehen Sie überhaupt, was Sie da reden?«
»Will nicht wissen, wie viele der mit seinen Ellbogen in den Graben befördert hat, bis er droben war. Von der Sorte gibt's genug.«
Gübler schnappte nach Luft.
»Von einem hohen Politiker kann nicht die Rede sein«, berichtigte der Polizeiobermeister übers Telefon, »der Mann ist Stadtrat bei uns. Ich erwähnte das nur, weil es für Ihre Ermittlungen vielleicht hilfreich sein könnte. Im Hauptberuf ist er als ...«
»Trotzdem«, stöhnte Gübler so laut, dass die restlichen Worte nicht mehr zu verstehen waren, »Politiker, das reicht schon.«
»Aber keiner der beiden Männer wurde misshandelt«, stellte Braig klar, »und Sie fanden wieder ein Bekennerschreiben?«
»Richtig.«
»Wie im Wagenburgtunnel«, jammerte der Kriminalrat, »dann sind es also doch Profis. Grüne Terroristen. Die schlagen jetzt groß zu. Alle paar Tage. Und wir haben keine Ahnung. Dann kommen die mit ihrer Sonderkommission!«
»Sie schicken uns Experten?«, fragte der Polizeiobermeister am Telefon.
Gübler riss die Augen weit auf. »Oh mein Gott, ja, natürlich. Sofort, auf der Stelle.« Er blickte zu Braig, winkte ihn zur Tür. »Sie sind schon unterwegs.«
»Wir beide?«, fragte Steffen Braig, indem er auf seine Kollegin zeigte.
»Ich brauche tüchtige Leute«, bellte Gübler, »die mein Vertrauen verdienen. Junger Mann, Sie fahren sofort. Und nehmen Sie Kriminalmeister Stöhr mit, das ist ein kluger Kopf. Er ist drüben in seinem Büro.«
»Kriminalmeister Stöhr?« Er schaute seinen Chef mit großen Augen an.
»Haben Sie etwas gegen ihn? Ich setze große Hoffnungen in den jungen Mann!«
»Besser wäre, Sie gäben ihm genügend Schokoriegel mit«, kommentierte Neundorf.
Braig ahnte, dass sie wieder einmal ins Schwarze getroffen hatte.
9. Kapitel
Er kam sich vor wie in einer anderen Welt. Umgeben von Hügeln und Bergen schmiegte sich der kleine Ort an ein sanft ansteigendes Gelände an. Unten, zu Füßen des Hügels, erstreckte sich in einem schmalen Wiesental der Kern des Dorfes: ein Laden, die Post, die Dorfkneipe, ein Friseur, die Sparkasse, mehrere längst aufgelassene Bauernhöfe, der Schmied und der Zimmermann. Viele Häuser zeigten sich frisch
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