Schwaben-Rache
sollten Zeitungen und Rundfunk bitten, danach zu fragen, ob jemand in den vergangenen Tagen oder Wochen im Wagenburgtunnel etwas Auffälliges beobachtet hat.«
»Habe ich schon durchgegeben, vorhin. Alles erledigt.«
»Mein Gott, was Sie sich nicht alles herausnehmen«, unterbrach Gübler ihr Gespräch, den Frauen-haben-bei-der-Polizei-in-höheren-Positionen-nichts-verloren-Blick im Gesicht, »haben Sie schon einmal gehört, dass Sie gefälligst mich als Ihren Vorgesetzten um Erlaubnis bitten müssen, bevor Sie zur Presse gehen? Ich muss in Ihre Personalakte wohl ›eigenmächtiges, unkoordiniertes Agieren ohne Weisungsbefugnis‹ einfügen lassen.«
»Wann soll ich Sie denn um Ihr Ermächtigungsgesetz bitten? Wenn Sie gerade mit einem Spieler oder mit dem Trainer telefonieren?«, erwiderte Neundorf und bemerkte dann, zu Braig gewandt, »Hinterschefirgockeler, alles klar? Gruß an Frau Ungemach.«
Kriminalrat Gübler hatte es die Sprache verschlagen. Er kramte ziellos in irgendwelchen Papieren.
»Dann zur Schnur«, setzte sie übergangslos fort, »mit der Breuninger festgebunden wurde. Das ist die eigentliche Überraschung.«
Braig nahm vor lauter Bewunderung ihres resoluten Auftretens kaum ihre Worte wahr. »Ich werde als Frau unter diesem Weiber-Hasser sowieso keine Karriere machen«, hatte sie ihm vor längerer Zeit erklärt, »das muss ich ganz realistisch sehen. Für den gehöre ich in die Küche zum Kotelett brutzeln, aber niemals ins Amt. Warum soll ich dann nicht offen sein? Der würgt mir doch nur miese Beurteilungen rein, der impotente Versager!«
»Die Schnur stammt von Karstadt, eindeutig. Laut Laborbericht handelt es sich um eine billige Sonderanfertigung, die exklusiv von Karstadt vertrieben wurde. Aber Auskunft darüber, wer in letzter Zeit in Stuttgart davon gekauft hat ... zu viele Kunden. Null Ahnung. Karstadt hat in unserer Region mehrere Häuser.«
»Dafür habe ich was Neues«, sagte Steffen Braig und zog ein Blatt aus seiner Tasche, »hier.«
»So schlampig«, schimpfte Gübler, als er das Papier auseinanderfaltete, »können Sie denn nicht ...«
»Vielleicht einer der Täter«, erklärte Braig.
Güblers Augen starrten auf das Blatt. »Wo, wie kommen Sie dazu?«
»Heute Morgen war ich nochmals in dem Lokal. Deswegen kam ich etwas später. Ihre Kritik war also nicht berechtigt.«
»Warum sagen Sie das nicht gleich?«
»Ich kam nicht zu Wort.«
»Woher haben Sie die Zeichnung?«
»Gestern Abend war zu viel Betrieb, niemand konnte sich erinnern. Aber heute Morgen rief mich der Wirt an – ich hatte ihm auch meine Privatnummer gegeben – und erzählte, ihm sei ein Mann eingefallen, der sich in den letzten Wochen recht auffällig in der Kneipe umgesehen habe. Manfred ist sofort hingefahren und hat die Skizze gezeichnet.«
»Mein Gott, das erzählen Sie mir erst jetzt? Braig, sind Sie des Wahnsinns, so lange damit zu warten? Ich überlege, weiß nicht, was wir tun sollen ...«
»Wie gewohnt«, meinte Neundorf, doch ihre Worte gingen im Läuten des Telefons unter.
»Großfahndung ausrufen nach dem Mann auf der Zeichnung«, zischte Gübler, als er den Hörer abnahm, »sofort Großfahndung ausrufen!« Dann verstummte er und erbleichte. Sein Gesicht wurde aschfahl, die Hände zitterten. Die Stimme aus dem Hörer brachte ihn vollends aus der Fassung.
8. Kapitel
Die Journalisten legten Wert darauf, dass sie den oder besser gesagt: beide Tatorte nicht verändert hatten. »Wir kennen Ihre Ermittlungsmethoden. Niemand von uns wollte Ihre Arbeit erschweren. Aber dass wir die beiden Männer befreit haben, war wohl selbstverständlich.«
Der Südwestdeutsche Rundfunk war von einer anonymen Stimme gegen acht Uhr früh telefonisch gebeten worden, sofort mit einem Filmteam in die kleine Ortschaft etwa dreißig Kilometer nordöstlich von Stuttgart zu kommen und dort zwei Szenen aufzunehmen, die »garantiert Aufsehen erregen werden«.
Neundorf und Braig standen aufmerksam vor Güblers Schreibtisch, lauschten gemeinsam mit ihrem Vorgesetzten der Stimme des Journalisten, der ihnen über das örtliche Polizeirevier telefonisch zugeschaltet war.
»Ja, genau so drückte sich die Person aus«, erzählte der Reporter, »ich glaube, wortwörtlich.« Natürlich hatte er sofort an die Sache im Wagenburgtunnel gedacht, schließlich war die Entführung dort auf ähnliche Weise bekannt geworden. Sie fanden das erste Opfer hinter einen mächtigen Busch gebunden, der vor dem winzigen Friedhof des kleinen
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