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Schwaben-Rache

Schwaben-Rache

Titel: Schwaben-Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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aus, die von prächtigen Gärten oder weitläufigen Rasenflächen umgeben waren.
    Kommissar Braig und sein Kollege Stöhr waren dem steilen Anstieg gefolgt, so wie es der örtliche Polizeibeamte empfohlen hatte. Braig blickte hinunter ins Tal, sah die vielen Dächer, die sich in unzähligen Farbschattierungen und Variationen unter ihm ausbreiteten. Drüben, auf der anderen Talseite, zogen sich Ackerflächen und Obstbaumwiesen den Nordhang des Hügels hinauf, darüber erstreckten sich weitläufige Wälder, so wie auf den Bergen der Umgebung.
    Wahrlich ein idyllisches Bild, überlegte er, wenn nur der unaufhörliche Lärmpegel der nahen Bundesstraße nicht alle anderen Geräusche überlagert hätte. Eine endlose Schlange von Fahrzeugen zog in beiden Richtungen am Dorf vorbei, wie von Braigs Standpunkt aus deutlich zu erkennen war. Er sah einen riesigen Lastwagen, versuchte, die Aufschrift auf seiner Seitenwand zu entziffern, als sein Blick auf eine kleine, grau gestreifte Katze auf dem Dach unmittelbar unter ihm fiel. Sie turnte auf den von Wind und Regen verwitterten bleichen Ziegeln herum, spielte mit einem kleinen unreifen Apfel, der viel zu früh von einem Baum gefallen war. Die winzige Frucht kullerte über das Dach, prallte kurz vor der Regenrinne auf ein Hindernis und knallte in die Plastiktüte, die Kriminalmeister Stöhr gerade auf ihren restlichen Inhalt untersuchte. Entgeistert blieb er stehen und starrte nach oben. Die Katze miaute ihn vom Rand des Daches an.
    »Do hend Sie aber Glück ghett«, meinte eine kleine Frau, die gerade vorbeikam, im reinsten Schwäbisch, »des hätt Sie voll treffe könne.«
    Sie kam die Stufen hoch, die sich, höchstens zwei Meter breit, zwischen den Häusern den Berg hochschoben.
    »Mhm, beinahe, es ist so«, stotterte Stöhr. Er musste Atem holen, denn er war vom Laufen erschöpft.
    Die Frau starrte die beiden Männer neugierig an. »Send Sie von der Zeitung?«
    Braig verneinte.
    »Vom Fernsehe vielleicht?« Ihre Stimme hatte einen hoffnungsvollen Ton angenommen.
    Sie war Mitte sechzig, hatte ein verwittertes, abgearbeitetes Gesicht mit faltiger, im Laufe vieler Jahre gebräunter Haut. Die unübersehbar tiefblauen Augen ließen unverhohlene Neugier erkennen. Braig fand sie auf Anhieb sympathisch. Ihre einfache Kleidung – sie trug eine helle, bunt gemusterte Schürze, dunkelblaue Wollstrümpfe und feste, verbrauchte Arbeitsschuhe – erinnerte ihn an die Frauen in dem kleinen Dorf, in dem er in seiner Kindheit als Gast seiner Patentante oft die Ferien verbracht hatte. Einfache, ehrliche Leute, denen der tägliche Kampf ums Dasein noch deutlich anzumerken war.
    »Wieso sollen wir vom Fernsehen sein?«, fragte er.
    »No, wege dere Sach heut Nacht ond weil ich Sie schon beim Gerhard drunte gsehe han.«
    »Beim Gerhard?«
    »Hano ja, beim Kessel halt, tun Sie doch net so vornehm!«
    Braig entschuldigte sich, betrachtete, in Erinnerungen schwelgend, interessiert die Haare der Frau. Sie trug sie zu einem Ballen gebunden auf dem Hinterkopf. Wie früher, dachte er und erinnerte sich daran, wie die alten Frauen im Dorf im Spätsommer und Herbst zusammengekommen waren, um gemeinsam den Tabak einzufädeln, oft wochenlang. Die Tabakblätter wurden mit langen Stricknadeln durchstochen, an Fäden aufgereiht und dann in der Scheune zum Trocknen aufgehängt. Stundenlang saßen bald ein Dutzend meist ältere Frauen beieinander und erzählten sich gegenseitig die neuesten Begebenheiten aus dem Geschehen des Dorfes. ›Gebetszwiebel‹ nannten damals verschiedene Männer die auf dem Hinterkopf zusammengebundenen Haare der Frauen abschätzig, wohl deshalb, weil es sich bei vielen der ›Gebetszwiebel‹-Trägerinnen um eifrige Kirchgängerinnen oder engagierte Frömmlerinnen handelte.
    »Sie kennen den Herrn Kessel?«, hakte Braig nach.
    »Hano, wer wird den Gerhard net kenne?« Sie deutete auf den Stapel kleinformatiger Zeitungen, die sie in der linken Hand hielt. »I trag seit Jahr und Tag des Mitteilungsblättle aus, da lernt ma d Leut kenne, ob ma will oder net.«
    Braig nickte verständnisvoll, denn er war davon überzeugt, dass sie die Leute kennenlernen wollte, und ob!
    »Außerdem bin ich in Lauberg gebore. Ond mei Vater war schon der Büttel, der alle Neuigkeite im Dorf verkündet hat.«
    »Dann sind Sie sicher bestens über alles informiert, was in der Umgebung läuft.«
    »Des verstoht sich aber! Wisset Sie, i interessier mich für alles, was hier los isch.«
    Braig glaubte ihr aufs

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