Schwaben-Rache
Sekunden, was sie meinte. »Den Ziegenfuß?«
»Den hat er verletzt. Und seinen Sohn.«
Die Katze krallte sich in der Dachrinne fest, zog sich wieder hoch. Unter ihr prasselten Moospartikel, Blätter und kleine Äste auf den Boden.
»Zum Glück nur verletzt«, setzte Frau Brüderle hinzu, »aber um ein Haar ...«
»Wann war das?«
»Vor zwei Monaten. Der Ziegenfuß war mit seinem Junge unterwegs mit de Fahrräder. Quer über die Felder sind sie gfahre, auf asphaltierte Wege, ond dort drobe, unterm Wasserturm, isch es passiert.«
Sie zeigte den Berg hinauf, über die Felder weg. Braig spähte nach oben, bis er einen kleinen Turm erkennen konnte, der vielleicht fünfzehn Meter in die Höhe ragte. Um ihn herum standen Obstbäume, Büsche und Reben.
»Dort obe rast der Gerhard mit seinem Karre wie ein Wilder um die Ecke und erwischt die zwei.«
»Sie wurden beide verletzt?«
»Hano ja, der Ziegenfuß Helmut weniger, den hats nur auf die Seite gworfe, aber sein Sohn, der Thomas, der war einige Tage im Krankenhaus. Der hat das Bein heut noch im Gips und hinkt.«
Steffen Braig war sich darüber klar, dass er die Aussagen der Frau genau überprüfen musste. Sie waren viel zu brisant, als dass er sie als privaten Dorfklatsch abtun durfte. Wenn es sich auch nur ungefähr so zugetragen hatte, wie Frau Brüderle erzählte, war hier ein eindeutiges Motiv für das Verbrechen zu finden.
»Könnten Sie uns bitte sagen, wo der Herr Ziegenfuß wohnt?«
Maria Brüderle war schon dabei, seinen Wunsch zu erfüllen. »Dort hinte, net weit von der Kirche, der große Hof.«
Braig sah das gewaltige Anwesen: ein großes Wohnhaus, Stall und Scheune rund um einen rechteckigen Hof platziert, etwa auf halber Höhe zwischen dem Tal und der Kirche auf dem Hügel.
»Betreibt er eine Landwirtschaft?«
»Noi, die Zeite sind vorbei. Seit ihm sein Weib davonglaufe isch, läuft bei dem nichts mehr mit Äcker ond Viech. Der schafft in der Fabrik.«
»Ich danke Ihnen, Frau Brüderle«, wollte Braig das Gespräch schon beenden, doch dann zog er noch das Fahndungsfoto aus seiner Tasche. »Kennen Sie zufällig diesen Mann?«
Sie stierte bereits auf das Blatt, als er es noch auseinanderfaltete.
»Hm, ich glaub, den han ich schon gsehe. Aber wo?« Sie überlegte angestrengt. Ihre Stirn ähnelte einem alten, zerknitterten Papier. »Ich würd Ihne gern helfe. Aber im Moment ...«
»Vielleicht fällt es Ihnen später noch ein.«
»Tut mir leid. Also ich wird mich bemühe!«
Braig nickte, blickte auf seine Uhr. »Wir müssen weiter. Wir haben noch einen Termin.«
»Ach so, klar. Beim Schmidts Otto. Den hent sie heut Nacht ja auch entführt.«
Der Kriminalkommissar stierte Maria Brüderle mit großen Augen an. Die Frau verstand zu kombinieren.
»Aber der Schmidts Otto, des isch net so ein verrückter Kerl wie der Gerhard. Er hat es schließlich auch zu was bracht. Der beschäftigt bald dreißig Arbeiter oder noch mehr in seiner Fabrik. Bei dem findet Sie nichts zu beanstande.«
»Er war ja auch das Opfer, nicht der Täter.«
»Hano ja, mit seine Arbeiter gibt es manchmal natürlich schon Probleme, wie man so hört, net. Aber des isch heut ja üblich. Neulich grad, da hat der Otto den junge Kahn entlasse, und der soll ihm dann ewige Rache gschwore habe. Aber das wisset Sie, net?« Damit verabschiedete sie sich mit einem freundlichen Lächeln von den beiden Beamten.
12. Kapitel
Otto Schmidt wohnte in einem der villenähnlichen Neubauten auf der Anhöhe des Dorfes. Das Haus war über einen Anbau mit einer weitläufigen Halle verbunden, in der der erfolgreiche Unternehmer seine kleine Werkzeugfabrik untergebracht hatte.
»Ursprünglich stand hier die Garage«, erklärte er den beiden Besuchern, nachdem Braig und Stöhr sich vorgestellt hatten. Stolz auf den beruflichen Erfolg sprach aus seinen Worten, Gesten, ja, seiner ganzen Erscheinung.
Otto Schmidt hatte einen auffallend länglichen, fast rechteckigen Kopf, der über einen extrem schmalen Hals mit dem Körper verbunden war. Steffen Braig musste unwillkürlich an die Sommer seiner Kindheit denken, als sich die Herzen aller Kinder auf den einen Wunsch konzentrierten, ein Eis am Stiel zu lutschen, jene damals gerade in Mode gekommenen wässrig-labbrigen Gebilde, die aus nichts als gefrorenem Wasser und Chemie sowie einem markanten dünnen Holzstäbchen bestanden. Wochen-, ja, monatelang hatte er in jener Zeit Kinder beneidet, denen es vergönnt war, diese Wundergebilde zu erstehen und zu
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