Schwaben-Rache
Wort. »Und Sie wissen genau Bescheid, warum es heute Nacht dem Herrn Kessel so schlimm ergangen ist?«
Kriminalmeister Stöhr hatte seiner Tüte eine Rolle Bonbons entnommen, die er nun lautstark von ihrer Umhüllung befreite.
»Oh, jetzt isch mir klar! Sie sind von der Polizei. Im Lade drunte hat die Christa gseit, dass so a lange klapperdürre Gestalt, wie sie im ganze Läbe noch nie oine gsehe hat, bei ihr war ond sie ausgfragt hätt. Sie hat gar net glaube könne, dass so a dürrer Mensch bei der Polizei ond noch gar bei de Kriminaler sei kann. Ond dann hätt er ihr den Lade regelrecht leerkauft, jedenfalls was die Schokolad ond die Süßigkeite agoht. Des wäret Sie!«
Sie zeigte voller Begeisterung auf Kriminalmeister Stöhr, der sich gerade drei Bonbons auf einmal in den Mund schob. Er schaute etwas säuerlich drein, ob wegen der Worte der Frau oder wegen der Süßigkeiten, konnte Braig nicht erkennen.
»Ond Sie ghöret zu dem Kerle dazu!«
Braig nickte freundlich. Wie damals, sinnierte er, offen und ehrlich, frei und unverblümt, kein Anflug von Diplomatie oder Heuchelei.
»Aber der Gerhard, des isch a Deifel!«, setzte sie hinzu.
»Deifel?«, fragte Braig, des Schwäbischen noch nicht ganz kundig. Er hatte sich gleich nach seinem Wechsel von Mannheim nach Stuttgart intensiv darum bemüht, das schwäbische Idiom genau kennenzulernen, um bei Vernehmungen alles korrekt mitzubekommen, hatte aber immer noch Schwierigkeiten, den Dialekt der Einheimischen zu verstehen. Der badische Kolorit seiner Jugendjahre unterschied sich in Teilen doch stark von der Sprache seiner neuen Umgebung.
»Mhm, es ist so, Teufel«, erklärte Kriminalmeister Stöhr, das Gesicht seltsam verzogen, »sauer, mhm, die Sorte taugt nichts.« Er studierte die Banderole der Bonbons, schüttelte den Kopf, verdrehte plötzlich die Augen, röchelte und schluckte heftig. Die gluckernden Geräusche, die er von sich gab, erinnerten Braig an das Gurgeln mit Mundwasser.
»Wieso bezeichnen Sie Herrn Kessel als Teufel?«, nahm Braig das Gespräch wieder auf.
»Hano, wie der mit seinem Karren immer durch die Gegend rast.«
»Mit seinem Karren? Auto oder Motorrad?«
»Ha, beides«, erklärte die Frau, »früher, wie er noch sei Ilse ghabt hat ond wie er dann geschiede war, mit seinem Motorrad. Aber seit er jetzt seine Nadine hat, mehr mit seinem Auto. Nur wenn sein Weib ein paar Tage weg isch, no nimmt er ab und zu des Motorrad, sonst net. Weil ihm die Nadine die Karre verböte hat, wisset Sie!«
»Ja, wir wissen Bescheid.«
»So? Wieso fraget Sie mich dann?«
»Weil Sie uns mit Ihren umfangreichen Informationen erheblich weitergeholfen haben, liebe Frau ...«
»Brüderle. Maria Brüderle. Aber ich bin mit dene Brüderles von der Sparkasse unte net verwandt. Net dass Sie meinet!«
»Keine Angst, das hätten wir nie vermutet. Das ist Kriminalmeister Stöhr, und ich bin Kriminalkommissar Braig. Steffen Braig.«
Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie ihr. Erfreut nahm sie sie in die Hand und studierte sie aufgeregt.
»Darf ich die Karte behalte?«
»Na klar.«
»Oh, des isch aber nett. Da werdet die Frieda und die Christa ganz neidisch, wenn ich dene den Ausweis zeig!« Sie stopfte die Karte vorsichtig in ihre Schürze.
»Könnten Sie uns, liebe Frau Brüderle, bitte genauer erklären, wieso der Herr Kessel durch die Gegend rast?«
»Er fährt halt ständig wie eine Sau. Des wisset alle in Lauberg, in Heiningen und Waldrems.«
»Hat er schon einen Unfall gebaut?«
»Unfall? Was heißt Unfall? Wenn Sie abends hier unterwegs sind, müsset Sie damit rechne, dass er wie ein Wilder daherkommt.«
»Aber er hat noch niemanden angefahren?«
»Sie fraget vielleicht dumm! Natürlich net zu Tod. Aber beinahe.«
»Beinahe?«
Maria Brüderle hatte den Mund weit offen. »Hano ja, fast alle aus der Umgebung. Ich sag Ihne doch, der rast wie eine Sau.«
Kommissar Steffen Braig schaute etwas konsterniert über die Dächer hinweg ins Tal. Draußen auf der Bundesstraße knatterte mit lauten Stößen ein Motorrad. Er blickte auf die andere Seite, wo er die grau gestreifte Katze sah. Das unternehmungslustige kleine Tier hatte ein neues Spielzeug entdeckt. Es grapschte nach einem Blatt, das der Wind aufs Dach getrieben hatte, verfolgte es über mehrere Ziegel hinweg und rutschte plötzlich an den Abgrund.
»Bis auf den Ziegenfuß«, sagte Maria Brüderle unverhofft, »den hat er wirklich angfahre.«
Braig verstand erst nach einigen
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