Schwaben-Rache
Brötchen. Das Gebäck, das nach Mandeln und Nüssen schmeckte, erinnerte ihn an Weihnachten. Ein Duft von Amaretto und Gewürzen lag in der Luft.
»Aber ich glaube, der eigentliche Grund für Kahns Entlassung ist politischer Natur. Schmidt engagiert sich mit seiner Partei für den vierspurigen Neubau der Bundesstraße von Winnenden nach Backnang parallel zur S-Bahn-Strecke, auf der alle paar Minuten Züge fahren. Das wird noch mehr Autoverkehr bringen, noch mehr Lärm und Abgase, dafür aber deutlich weniger Fahrgäste auf der Schiene. Kahn arbeitet in der Bürgerinitiative gegen diesen Neubau. Diese Menschen argumentieren, es reiche vollkommen, eine Ortsumgehung von Winnenden zu bauen. Kahn wurde von Schmidt unter vier Augen mehrfach aufgefordert, aus der Initiative auszuscheiden, weil sonst sein Arbeitsplatz in Gefahr sei.«
»Sind das nicht nur Behauptungen Kahns?«, hakte Braig nach.
»Ich vertraue dem Mann«, sagte Frau Sommer.
»Weil er der Kirche nahesteht«, ergänzte Braig.
Die Pfarrerin lachte laut, stand auf, strich ihr Kleid zurecht. »Die Vorstellungen eines aufrechten Kripobeamten über das Denken und Handeln in der Kirche. Was sind Sie: Kommissar?«
Braig kaute und bestätigte mit vollem Mund: »Richtig geraten: Kriminalkommissar.«
»Zu Ihrer Beruhigung: Herr Kahn ist seit Jahren aus der Kirche ausgetreten. Was nicht heißt, dass er nicht ab und an bei Veranstaltungen von uns auftaucht.«
»Obwohl er kein Mitglied ist.«
»Trotzdem.«
»Und Herr Schmidt?«, fragte Braig. »In welchem Verhältnis stehen Sie zu ihm?«
»Er ist einer unserer Kirchengemeinderäte. Der mit dem größten Einfluss.«
14. Kapitel
Kommissar Braig stand auf dem kleinen Parkplatz neben dem Laden in Lauberg, nahm sein Handy, meldete sich im Landeskriminalamt. Neundorf war am Apparat.
»Gott schenke dir gute Nerven«, sagte sie.
»Wieso?«
»Napoleon steht auf dreihundert. Hast du das Gerichtsurteil in den Nachrichten gehört?«
Braig wusste nicht, wovon sie sprach. »Welches Urteil?«
»Der Giftmord von Tamm in der Nähe von Ludwigsburg. Das kleine Mädchen, das von seiner Tante vergiftet worden sein soll.«
»Die kleine Anna?«, fragte Braig.
Natürlich kannte er den Fall. Monatelang hatte der Tod des Kindes damals die Schlagzeilen sämtlicher Medien bestimmt, alle Welt war entsetzt über die schreckliche Frau, eine Stuttgarter Apothekerstochter, die ihre eigene junge Nichte mit Arsen ermordet haben sollte. Gübler verbuchte die Verurteilung der Frau als eigenen Erfolg, hatten sich die Richter zuerst des Stuttgarter, dann auch noch des Heilbronner Landgerichts doch den Ermittlungsergebnissen seiner Kommission angeschlossen und die Tante als Giftmörderin verurteilt. Sie saß seit der Urteilsverkündung vor einigen Jahren im Gefängnis.
»Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat die Frau freigesprochen, endgültig. Ihr sei nichts nachzuweisen«, erklärte Neundorf durchs Telefon, »vorhin brachten es die Nachrichten. Gübler ist außer sich. Er sieht das Urteil als persönliche Attacke gegen sich.«
»Wer soll das Kind vergiftet haben?«, fragte Braig.
»Vielleicht müssen wir neu ermitteln. Der Anwalt der Tante will eine Täterschaft der Mutter nicht ausschließen. Sie war zum Zeitpunkt der Geburt Annas an Multipler Sklerose erkrankt. Vielleicht ein psychotischer Schub, spekuliert der Advokat. Sein Kollege wurde noch deutlicher: Anna kann das Opfer eines Produkterpressers geworden sein. Schließlich starb sie an mit Arsen vergiftetem Eis. Und – was Gübler bei seinen Ermittlungen völlig außer acht ließ – acht Tage nach dem schrecklichen Tod des Kindes erhielt die Herstellerfirma des vergifteten Eises einen in Stuttgart abgestempelten Erpresserbrief. Dieser Spur zu folgen, hat unser Herr Kriminalrat damals nicht für sonderlich sinnvoll gehalten.«
Braig erinnerte sich noch genau, was die Untersuchungen dieses aufsehenerregenden Todesfalles ergeben hatten: Elisabeth Fredelik war nachmittags zur Familie ihres Bruders gekommen. Weil die Eltern am Abend ein Konzert besuchen wollten, war die Tante bei ihrer kleinen Nichte geblieben. Vor dem Zubettgehen hatte sie dem Kind ein Eis serviert, das sie in einem Laden in Tamm gekauft hatte, vermischt mit Schokoladensauce, die angebrochen im Kühlschrank der Eltern aufbewahrt worden war. Etwa eine Stunde später hatte sich das Mädchen zum ersten Mal übergeben, dann die ganze Nacht keine Ruhe mehr gefunden, bis die Tante und die Eltern es gemeinsam ins
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