Schwaben-Rache
aber nicht wissen, wie vielen Menschen er schon schlechte Nächte beschert hat.«
»Oh, das hört sich direkt wie eine Anklage an. Etwas ungewohnt aus dem Munde einer Pfarrerin.«
»Bei Leuten vom Schlage dieses Schmidt hat es wenig Sinn, durch die Blume zu reden. So viele Blumen können nirgends wachsen, dass er sich in ein schönes Licht getaucht sieht.«
Braig schaute Frau Sommer überrascht an. »Das klingt nach schwerem Kaliber.«
»Laufen Sie durchs Dorf, und halten Sie die Ohren offen«, erwiderte sie.
»Für mich wäre es viel reizvoller, Ihnen zuzuhören.«
»Ich lebe erst seit zwei Jahren hier. Was ich Ihnen erzählen kann, stammt oft nur aus zweiter Hand.«
»Trotzdem«, beharrte Braig, »wenn Sie sich die Zeit nehmen könnten.«
Ihm war jedes Mittel recht, in ihrer Gesellschaft zu verweilen. Kriminalmeister Stöhrs ausgemergelte Gestalt stellte bei allem Respekt vor dem Ehrgeiz des jungen Mannes keine attraktive Alternative dar.
»Vielleicht muss ich meine Befürchtung vom grünen Terror zurücknehmen, weil die Motive für die Verbrechen völlig anders geartet sind. Ich habe von Anfang an darauf spekuliert, dass man uns irreführen will.«
»Dies zu entscheiden ist allein Ihre Aufgabe. Im Umfeld des Herrn Schmidt gäbe es allerdings, soweit ich es beurteilen kann, genügend Gründe für einen – sagen wir mal – kleinen Vergeltungsschlag. Obwohl ich wirklich kein Interesse habe, mich für diesen Menschen auf die Jagd nach Leuten zu machen, die er ohnehin schon längst ruiniert hat«, erklärte Frau Sommer.
»Sie sprechen von Herrn Kahn, den er neulich erst entlassen hat?«
Sie wirkte überrascht. »Oh, Sie haben davon gehört?«
»Heute Morgen. Genaueres ist mir im Moment allerdings noch nicht bekannt.«
»Herr Kahn ist nur einer von vielen«, sagte die Pfarrerin, »Schmidts Aufstieg ist von Leichen gepflastert.«
»Sie scheinen den Mann wirklich nicht besonders zu mögen.«
»Das ist keine Frage der Sympathie, hier geht es um Tatsachen.«
»Warum hat er Herrn Kahn entlassen?«
»Angeblich oder in Wirklichkeit?«
»Mich interessiert beides«, erklärte Braig, »wenn es da Unterschiede gibt.«
»Gewaltige. Die offizielle Version hat mit der Realität wenig zu tun. Herr Kahn arbeitete seit Jahren in Schmidts Betrieb. Maschinenbau. Produktion von Gewindeteilen und Werkzeugen, die teilweise selbst entworfen und gegossen werden. Große Schinderei, wie die Arbeiter erzählen. Insgeheim natürlich, nicht offen. Wer sich zu laut beklagt, wird zum Chef zitiert. Schmidts Abmahnungen sind bekannt. Entweder die Leute kuschen oder sie können sich einen neuen Arbeitsplatz suchen. Schmidt kanzelt sie vor der versammelten Mannschaft ab, bis wieder alle vor ihm zu Kreuze kriechen. Kahn war der Einzige, der nicht klein beigeben wollte.«
»Was war der Anlass?«
»Herrn Schmidts großzügige Überstundenregelung. Er setzt als selbstverständlich voraus, dass jeder Mitarbeiter voll zur Verfügung steht, wenn die Auftragslage dies erfordert. Überstunden am Abend, manchmal auch am Wochenende, je nach Bedarf. Zeitweise wurde es fast zur Gewohnheit, länger zu arbeiten. Zehn- oder Elfstundentage, drei-, viermal die Woche, mehrere Monate hintereinander. Mehr Geld in Ehren, aber wo bleibt das Leben? Immer mehr Arbeiter schimpften hinter vorgehaltener Hand, nur Herr Kahn machte es öffentlich. Er forderte Schmidt auf, neue Leute einzustellen, statt ständig Überstunden schieben zu lassen. Der weigerte sich und drohte Kahn mit Konsequenzen. Doch diesmal hatte er sich verrechnet.«
»Herr Kahn blieb bei seiner Kritik?«
»Stur, wie der Mann nun einmal ist, wandte er sich an die Gewerkschaft. Todsünde Nummer eins in Schmidts Augen, denn er führt einen gewerkschaftsfreien Betrieb. Aus Prinzip. Todsünde Nummer zwei: Kahn erfasste minutiös alle Überstunden, die im Verlauf des Jahres in der Firma geleistet wurden, und rechnete dann vor, dass dafür vier zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden könnten. Als er die Zahlen veröffentlichte, platzte Schmidt der Kragen. Er warf ihn raus. Begründung: geschäftsschädigendes Verhalten durch Verrat von Firmeninterna. In Wirklichkeit ging es Schmidt um ganz andere Punkte.«
»Nämlich?«
»Kahn wies mit seinen Zahlen genau nach, warum Schmidt lieber auf Überstunden als auf neue Arbeitsplätze setzte: Er sparte so mehrere tausend Mark. Monat für Monat. Plötzlich stand Schmidt als gieriger Leuteschinder da.«
Braig nahm sich eines der knusprigen
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