Schwaben-Rache
nicht mit Haut und Haaren verschreiben.«
»Versuchen Sie, sich vor meinen Fragen zu drücken?«
»Habe ich Ihnen nicht schon genügend Antworten gegeben? Ich beschäftige mich schon den ganzen Mittag mit buddhistischen Gedanken, und dann überfallen Sie mich mit Ihrer unverhohlenen Neugier. Sollten Sie nicht versuchen, meine Antworten zu verarbeiten?«
Sie zog ein kleines Buch aus einer ihrer Taschen und reichte es ihm.
Buddhistische Reflexionen
prangte auf dem Umschlag.
Braig spürte instinktiv, dass er auf ihr Spiel eingehen musste, wenn er von ihr noch mehr erfahren wollte. Er nahm das Buch, blätterte darin.
»Übertriebene Neugier gilt im östlichen Denken als eines der Grundübel des Menschen. Viele unserer Beschwerden sind auf dieses Laster zurückzuführen. Zeitgenössische buddhistische Denker erklären die Unzufriedenheit vieler Menschen im Westen als Folge ihrer Gier nach Wissen, Informationen, immer neuen Erkenntnissen.«
»Sie beschäftigen sich intensiver damit?«, fragte Braig.
»Nur wenn mir danach ist.«
»Ich wollte, ich hätte ebenfalls so viel Zeit.«
»Sehen Sie, das war schon wieder eine falsche Antwort.«
Braig lachte, erhob sich, lief vor der Bank langsam hin und her. »Sie haben das Zeug zum Guru«, spottete er.
»Ganz bestimmt nicht«, erwiderte sie, »dazu fehlt mir die innere Ruhe.«
»Bei so viel Lesen und Meditieren?«
»Sie sind sehr frech. Vergessen Sie nicht, dass ich Sie in der Hand habe. Sie wollen unbedingt Informationen über bestimmte Vorgänge in Lauberg, und ich wüsste da einiges, was Sie interessieren könnte.«
»Und damit wollen Sie mich auf die Folter spannen.«
Sie sog an ihrer Zigarre, stieß den Rauch aus. »In Ihrem eigenen Interesse. Unser Besitzenwollen, materielle Güter ebenso wie Informationen, ist nach buddhistischer Auffassung die Ursache des Leidens. Ich habe lange gebraucht, bis ich diese Aussage verstanden habe. Heute weiß ich, dass es stimmt. Die Gier, ständig neues Wissen in sich hineinzustopfen, führt zu denselben Folgen, wie sich dauernd unbedacht den Bauch vollzuschlagen. Nachher ist Ihnen übel, und Sie brauchen Zeit, um sich auszukurieren. Wir sind einfach darauf angewiesen, langsam zu verdauen, was wir in uns aufnehmen. Hier, schauen Sie sich die traumhafte Umgebung an, dann finden Sie die Muße dazu.«
Braig setzte sich wieder auf die Bank, folgte ihren Fingern, die auf die Gärten und den Wald vor ihnen wiesen. Die Sonne hatte an Licht verloren, was die Farbe der Wiesen und der Blätter deutlich an Kraft gewinnen ließ. Es war ein paradiesischer Anblick: Das Grün der Umgebung strahlte in derartiger Intensität, dass es jeder unberührten Naturlandschaft zu höchster Ehre gereicht hätte. Hier Urlaub machen zu können, musste als Geschenk des Himmels verstanden werden. Die Rasenflächen der Gärten, umringt von intensiven blauen, gelben und roten Blüten in allen Formvariationen, erglühten in sattem Grün. Hecken und Sträucher, Büsche und Bäume schoben sich in langen Reihen sanft den Abhang hinunter bis zu dem kleinen Einschnitt, der die Bahnlinie markierte. Jenseits des schmalen Tales erstreckten sich weitläufige Wiesen, die von der schräg stehenden Sonne in ein gespenstisches Licht getaucht wurden. Überragt wurde die Szenerie von dichtem Mischwald, der sich die Kuppe des gegenüberliegenden Berges hinaufschob und ihn auf dessen Anhöhe vollständig bedeckte.
»Nicht derjenige ist weise, der viele Dinge weiß, sondern der, der bereit ist, sein Wissen zu erweitern, mit allen Sinnen«, sagte die Frau, »ein idealer Platz für dieses Vorhaben, meinen Sie nicht?«
Braig schaute sich langsam um, fühlte, wie ihn der Anblick der friedvollen Landschaft beruhigte.
»Hier würde ich mich gerne jeden Mittag mit Ihnen unterhalten«, gestand er, »auch ohne Jagd nach Informationen.«
»Warum nicht?«
Sie schaute nach links, Richtung Neubaugebiet. Ein Auto näherte sich auf dem asphaltierten Feldweg mit hoher Geschwindigkeit. Es zog eine breite Staubfahne hinter sich her. Braig sah einen vornehm gekleideten Mann am Steuer, der den Blick auf den Weg gerichtet hatte.
»Vorhin haben wir vom Teufel gesprochen, jetzt ist er da«, zischte die Frau.
Braig sah erstaunt auf. »Was meinen Sie?«
»Bofinger«, sagte sie und zeigte auf die Staubfahne, die das Fahrzeug verschluckte, »Besichtigung des Tatortes durch den Chef persönlich. Welche Ehre. Wollen Sie den Herrn nicht sprechen? Sie sollten sich beeilen, er hat nie viel
Weitere Kostenlose Bücher