Schwaben-Rache
wiedererkannt. Ihr Körper war gelähmt geblieben, trotz aller medizinischen Maßnahmen. Als sich die sechsjährige Tochter geweigert hatte, weiterhin die ›kaputte‹ Mama in der Klinik zu besuchen, hatte der Vater einen Nervenzusammenbruch erlitten. Er hatte seine Arbeit verloren, sich selbst in ärztliche Behandlung begeben müssen. Es war ein Teufelskreis gewesen, dessen erzählte Fortsetzung für die nächste Entführung angekündigt wurde. Kommissar Braig schauderte.
34. Kapitel
Das Gespräch mit Till Standfest, dem Besitzer der gleichnamigen Autohäuser, hatte keine besonderen Hinweise auf die Identität der Täter erbracht. Er zeigte sich völlig überrascht, konnte sich den Überfall und die Entführung nicht erklären, hatte vor Schreck überhaupt nicht wahrgenommen, wie die Täter aussahen, wie sie angezogen waren, wie sie sich verständigten.
»Aber Sie müssen uns doch irgendeinen Hinweis auf das Aussehen der Täter geben können, auf ihre Größe, ihre Haare vielleicht, ihre Stimmen?«, hatte Braig verzweifelt insistiert – vergeblich.
Till Standfest war keine große Hilfe. Der Mann saß seit Jahren in der Geschäftsführung seiner Autohäuser, bekleidete nebenbei wichtige Funktionen in verschiedenen politischen Gremien und engagierte sich seit Monaten für den vierspurigen Neubau der Bundesstraße.
Er hatte an einem Seminar seiner Partei über die Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft im
Weinberg-Stern
teilgenommen und war – wie gewohnt – anschließend zu einem kleinen Abendspaziergang aufgebrochen.
»Plötzlich waren die Verführer da. Entschuldigen Sie, Entführer wollte ich sagen.«
Er hatte sich auf ein Fahrrad setzen müssen, »ja, doch, eine Gangschaltung war vorhanden, aber fragen Sie mich bitte nicht, welches Fabrikat, ich habe von Fahrrädern überhaupt keine Ahnung!«
Wackelnd und schwankend war er den Feldweg entlanggefahren, gefolgt von den Tätern, wobei ihnen seiner Aussage zufolge niemand begegnet war.
Er hatte keine Ahnung, wie viele Entführer es gewesen waren, wie sie sich hinter ihm her bewegt hatten, nichts.
Schließlich waren sie an der Brücke angelangt, unten im Tal, wo die Entführer ihn gezwungen hatten, das Fahrrad liegen zu lassen, den Hang hochzuklettern und sich – trotz heftiger Gegenwehr seinerseits – splitterfasernackt auszuziehen. Dann hatten sie ihn festgebunden, ihm irgendein Gerät und eine stechend riechende Flüssigkeit auf die Stirn gedrückt und ihn mit brennenden Schmerzen allein zurückgelassen.
Herr Standfest konnte sich nicht einmal erinnern, ob zwischen den Entführern Worte gewechselt worden waren. Braigs missmutige Stimmung erreichte ihren Tiefpunkt, als Standfest sich nicht entscheiden konnte, ob es zwei oder drei Täter gewesen waren.
»Mindestens zwei«, mehr war ihm nicht zu entlocken.
Er trug einen grauen Zweireiher, ein weißes, mit schwarzen Streifen verziertes Hemd, eine dunkle, grau-gelb gepunktete Seidenkrawatte und eine große Brille. Sein schütteres Haar war in feinen Streifen quer über den Schädel gekämmt, wohl zu dem Zweck, den Ansatz zur Glatze hinter dem dünnen Schleier zu verbergen. Sein schmales, spitz zulaufendes Gesicht erinnerte Braig an die Wohlstandsvisagen von Schauspielern, die in billigen Fernsehfilmen erfolgreiche Nachkriegsemporkömmlinge mimten.
Was das vornehme Aussehen des Mannes störte, war das unübersehbare Mal mitten auf seiner Stirn. Ein großer, vom Haaransatz bis zur Nasenwurzel reichender Mercedesstern inmitten eines auf der linken Seite leicht eingebeulten Kreises erstrahlte dort in dunklem Rot. Erst als Standfest sein Gesicht für einen Moment dem von der Sonne beschienenen Fenster zuwandte, erkannte Braig die vielen kleinen Wunden, durch die das Zeichen auf der Haut verewigt worden war: Einstiche unzähliger Nadelspitzen, die die Täter bewusst zu diesem Symbol angeordnet hatten, besaß ihr Opfer doch mehrere Autohäuser dieser Marke.
Der Arzt hatte sie beruhigt: Nach medizinischem Ermessen würde ein normal verlaufender Heilungsprozess die Einstiche im Verlauf weniger Wochen langsam verschwinden lassen. Die gesunde Haut könnte sich dann neu bilden und Standfest sei es möglich, in etwa zwei Monaten wieder ohne äußerlich sichtbare Verletzung aufzutreten. Es sei wohl kaum angebracht, die Täter zu loben, hatte der Mediziner erklärt, er könne aber nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass nach seinen gegenwärtigen Erkenntnissen sowie nach den Schilderungen des Opfers die Täter
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