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Schwaben-Rache

Schwaben-Rache

Titel: Schwaben-Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Region um Stuttgart längst zum Symbol für allzu schnellen Aufstieg und Reichtum mit all seinen Erfolgen und Verfehlungen geworden. Sparsamkeit und Fleiß, zwei urschwäbische Tugenden, gepaart mit Geschäftstüchtigkeit und Glück, hatten zu einem Unternehmen geführt, dessen Erfolg von seinen Betreibern inzwischen – völlig unschwäbisch – offen zur Schau gestellt wurde.
    Die Besitzer des Hotels, eine fleißige Bäckerfamilie, hatten – so behauptete es der Volksmund – ihr Einkommen in den prüden 50er- und 60er-Jahren auch dadurch vermehrt, dass sie Zimmer an unverheiratete Paare vermieteten, was in dieser frommen fundamentalistisch-pietistischen Region als unüberbietbar sündenvolles Verhalten galt. Der Hotelkomplex, den sie daraufhin mit dem schmutzigen Geld in die Landschaft klotzten, beherbergte bald die Reichsten und Großkotzigsten des wilden Südens: Manager, Anwälte, ganze Bundesliga-Fußballmannschaften.
    Gekrönt wurde der materielle Aufstieg der reichen Hoteliersfamilie durch eine eigene Fußballmannschaft. Der FC Weinberg-Stern köderte die besten Spieler der Region, wodurch er Jahr für Jahr höhere Klassifikationen erklomm. Zur größten Attraktion wurden bald die Weinproben im eigenen Wingert, die der Besitzer mit viel Pomp inszenierte: Sein Jeep karrte zwei Anhänger, vollbesetzt mit erwartungsvollen Urlaubern, durch die Rebenhänge zur Weinberghütte, wo die Schätze präsentiert wurden.
    So viel Protz, so viel Pomp waren im Schwäbischen bei vielen immer noch unerwünscht. Traditionellerweise arbeitete fleißig, lebte zurückgezogen und bescheiden, suchte sein Glück im Stillen, wer sich hier dem Sinn des Lebens nähern wollte. Dort, wo diese Tugenden noch in Ehren gehalten wurden – wie in der ländlichen Region um den
Weinberg-Stern
– drohte Zuwiderhandelnden bis in unsere Tage vieler Schwaben Rache. Neid und Missgunst der Nachbarn, Gerüchte über das böse, sittlich verkommene Treiben von Gästen wie Besitzern innerhalb des Hotelkomplexes jagten einander, juristische Auseinandersetzungen folgten. Der
Weinberg-Stern
war – zumindest dem Volksmund nach – zu einem schwäbischen Dallas mutiert.
    Kommissar Braig und Kriminalmeister Stöhr kamen an Lauberg vorbei, passierten dann den Viadukt. Um den Tatort erreichen zu können, mussten sie ein kurzes Stück den Abhang hinunterklettern. Polizeiobermeister Busch wartete an einer der breiten Stützmauern der Brücke.
    Steffen Braig sah es auf den ersten Blick: dasselbe Papier, dieselben Schrifttypen, die gleiche Schnur.
    »Eigentlich könnten wir uns die Spurensicherung sparen.«
    Sie mussten einander anschreien, um sich verständigen zu können, denn oben auf der Brücke donnerten pausenlos Autos über das Verbindungsstück. Jedes Fahrzeug ein verheerender Schlag. Die Gebäude unten sahen verkommen aus. Bestenfalls Unterkünfte für Gastarbeiter oder Asylbewerber. Wer sonst ließ sich das antun, hier leben zu müssen? Lärm und Abgase Tag und Nacht. Geschepper und Geheule die ganze Zeit. Mein Gott, was für ein Leben. Die reine Hölle.
    »Irgendwelche Zeugen?«, brüllte Braig.
    Busch zuckte mit den Schultern. Sie mussten sich auf eine Art Gebärdensprache einigen, wenn sie miteinander kommunizieren wollten.
    »In der Umgebung?«, antwortete Busch. Seine Stimme überschlug sich. »Scheiße, ist doch alles Scheiße.«
    Er hatte die Sache offensichtlich satt. Wahrscheinlich stand er schon seit Stunden hier, den Lärm über sich, die Abgase in den Lungen. Und jetzt die Schnüffelei der Stuttgarter Kollegen, die schon seit Tagen nach den Entführern suchten und nur Misserfolge verbuchten.
    »Das Bekennerschreiben?«
    Busch verstand ihn nicht.
    »Bekennerschreiben?«, brüllte Braig, Wut im Bauch.
    Der Polizeiobermeister nickte. Er zog sich die Plastikhandschuhe über, lief zu seiner Tasche und reichte ihm zwei Blätter, die in einer Cellophanhülle steckten.
    »
Erste Fortsetzung
«, las Braig und darunter, kleiner gedruckt: »
die erste von vielen, die noch folgen

    Er spürte das Zittern seiner Hand. Mein Gott, wollten die immer noch keine Ruhe geben?
    »Sie lesen es hier?« Buschs Stimme kreischte wie eine Motorsäge.
    »Ich will es nur überfliegen«, schrie Braig.
    Der Text schilderte das Schicksal der von einem Autounfall betroffenen Familie, von der schon bei Bofingers Entführung die Rede gewesen war. Die Mutter hatte ihr Erinnerungsvermögen vollständig verloren, weder die eigenen kleinen Kinder noch den Ehemann

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