Schwaben-Rache
ihre Taschenlampe kurz aufflackern. Das Haus würde keine großen Schwierigkeiten bereiten. Informationen über die Inneneinrichtung hatte sie durch Braigs Bericht erhalten, der Breuninger hier nach dessen Entführung aufgesucht hatte. Außerdem war sie in den letzten Tagen mehrfach mit einem Zivilfahrzeug des LKA langsam am Grundstück entlanggefahren, um sich ein Bild über Lage und Verwendung der Wohnräume zu machen.
Im Erdgeschoss lag das große Wohnzimmer, in dem Braig empfangen worden war: eine Sofagarnitur, ein marmorierter Tisch, ein wuchtiger teurer Wandschrank.
Es war kaum anzunehmen, dass Breuninger hier irgendwelche wertvollen Dokumente aufbewahrte, aber wissen konnte man es nie. Neundorf schlich sich leise zu dem mächtigen Schrank, öffnete ihn vorsichtig. Das Krächzen des Schlüssels ließ ihr eine Gänsehaut über den Rücken kriechen. Sie hielt inne, lauschte, ob irgendwo im Haus Geräusche zu hören waren.
Ruhe. Kein Ton.
Sie konzentrierte sich wieder auf den Schrank: Gläser, Schüsseln, Besteck, Servietten. Sie schob eine weitere Tür zur Seite: Tischdecken, Tücher, noch mal Servietten. Sinnlos. Sie schloss den Schrank, ließ ihre Augen über den Rest des großen Raumes gleiten: Der riesige Wandteppich mit seinem wirren Farbmuster schien sie drohend anzublicken.
Neben dem Wohnzimmer befanden sich eine geräumige Küche, ein großes WC und ein weiterer Raum. Vorsichtig betrat sie diesen Raum, sah ein Bett, einen Schrank, eine ausziehbare Couch und einen Nachttisch vor sich. Eine Art Gästezimmer für Besucher des Hauses. Hier war bestimmt nicht zu finden, was sie suchte. Sie verließ den Raum, schlich über die Diele zurück zur Treppe, die nach oben führte. Da ihre Handschuhe an beiden Händen spannten, bewegte sie die Finger, um das Material zu dehnen.
Als sie den ersten Stock erreichte, erblickte Neundorf zu ihrer Linken den Gang hinunter drei, zu ihrer Rechten zwei Türen.
Sie wandte sich zuerst nach rechts, drückte die Klinke des ersten Zimmers. Über einem breiten französischen Bett, das den Mittelpunkt bildete, hing ein riesiger, am oberen Rand circa dreißig Zentimeter abstehender, stark geneigter Spiegel, der das Geschehen auf der Matratze darunter wohl versüßen sollte. Die Bettwäsche duftete nach irgendeinem penetranten Weichspülmittel, sie zeigte eine nackte, sportliche Blondine, die sich an einen gewaltigen Tiger schmiegte. Auf der Teppichumrandung verfolgten derweil Jäger mit angelegten Gewehren mitten im Wald dahinrasende Wildschweine. Hinter der Tür befand sich ein breiter Spiegelschrank.
Neundorf ließ das Licht ihrer Taschenlampe nur für Sekunden aufleuchten, da sie sofort von mehreren Seiten her geblendet wurde. Die Spiegel des Schrankes und der Wand über dem Bett warfen sich das Gleißen gegenseitig zu und multiplizierten es unendlich oft. Ein gefährliches Spiel, wie Neundorf aus beruflicher Erfahrung wusste: Oft genug hatten solche Lichtreflexe die Arbeit von Einbrechern verraten und deren Verfolgung und Festnahme ermöglicht.
Sie schlich sich zu dem Schrank, versuchte, ihn zu öffnen. Die Tür klemmte. Entweder gab es einen kleinen Trick, der es ermöglichte, sie zu bewegen, oder Neundorf musste kurz Gewalt anwenden. Sie drückte die Tür hoch, dann zur Seite, nach links, nach rechts, nach unten, dann nach innen, doch nichts bewegte sich. Auch bei stärkerer Kraftaufwendung spürte sie kein Nachgeben. Wollte sie ihn öffnen, musste sie die Fassade genauer in Augenschein nehmen und dafür ihre Lampe benutzen. Sollte sie das Risiko eingehen?
Sie blickte hoch, sah ihren schattenhaften Umriss mehrfach im Spiegel. Wahrscheinlich enthielt der Schrank nur Bettwäsche, Kleidung und kleinere Utensilien. Die Gefahr, durch das Anschalten der Lampe plötzlich im Rampenlicht zu stehen und dabei von irgendeinem unverhofften Spaziergänger bemerkt zu werden, schien ihr zu groß.
Sie verließ den Raum, schlich sich auf Zehenspitzen ins nächste Zimmer. Es roch intensiv nach teurem Damenparfüm. An der Fensterseite stand ein geräumiges Sofa, mit drei großen Kissen bestückt, gegenüber eine Vitrine mit Gläsern und Geschirr, daneben eine Fernseh-Video-Kombination, in der Mitte ein runder massiver Tisch. Offenbar ein kleines zusätzliches Wohnzimmer. Vielleicht der private Raum seiner Lebensgefährtin, die ihm gerade durchgebrannt war.
Die erste Tür rechts war verschlossen. Sein privater Arbeitsraum? Verschlossene Türen waren immer besonders vielversprechend.
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