Schwaben-Rache
vertieften sich später in ein Buch, das die historische Entwicklung der Region nachzeichnete und einen Einblick in die Tradition Laubergs und der Nachbargemeinden gab.
Die beiden Gastgeberinnen entschuldigten sich anschließend kurz, weil sie einer alten Frau wie jeden Abend ins Bett helfen wollten. Es dauerte, bis sie wiederkamen.
»Ich bitte um Entschuldigung. Sie hatte alles vollgemacht, wir mussten die Küche und die Stube säubern.« Vera Sommers Gesicht zeigte deutliche Spuren von Anstrengung.
»Tun Sie das jeden Abend?«, fragte Katrin Neundorf.
»Im Wechsel mit anderen Leuten. Von der Kirchengemeinde organisiert. Sie hat keine Verwandten mehr, will aber nicht ins Altenheim. Solange es gut geht, versuchen wir zu helfen.«
»Herr Schmidt fällt jetzt aus.«
Maria Gübler lachte, strich sich ihr strähniges Haar aus dem Gesicht. »Nur seine Unterschrift wird uns fehlen. Außer Anweisungen und Repräsentation kam von dem nichts, oder?«
Sie wandte sich Vera Sommer zu, die ihre Aussage bestätigte.
»Die einen arbeiten, die anderen geben ihren Namen dafür her.«
»Und Herr Bofinger, was ist mit dem?«, fragte Braig.
»Sie liegen richtig«, meinte die Pfarrerin, die Augen von Müdigkeit gezeichnet, »der erfolgreiche Herr kauft sich mit finanziellen Zuwendungen von solchen Verpflichtungen frei.«
Braig entdeckte Schmutz an ihren Hosen, der von Gras und Erde stammte.
»Was war der Auslöser für Herrn Kessels Amoklauf gegen Bofinger? Dessen Verhältnis mit seiner Frau?«
Maria Gübler schüttelte den Kopf. »Da steckt mehr dahinter. Es geht um den Neubau der Bundesstraße. Nachdem sich immer mehr Leute in einer Bürgerinitiative gegen den Bau dieser autobahnähnlichen Trasse zusammengeschlossen hatten, reagierten Bofinger und seine Lobby-Freunde mit einer Gegen-Initiative. Zu ihrem Pech fanden sie außer den berufsmäßigen Schreiern aus Industrie, Handel und den konservativen Parteien kaum Leute, die sich engagieren wollten. Also wurde geschmiert, mit finanziellen Zuwendungen gearbeitet. Bofinger verteilte Geld, und seine Initiative wuchs. Er ist einfach ein cleverer Geschäftsmann. Er investierte schätzungsweise zehn Prozent von dem Gewinn, dessen er sich durch den Bau der neuen Trasse sicher war, und schon fand er breite Unterstützung. Die Presse brachte alle Erklärungen der Initiative, stellte sie groß ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Damit nicht gleich auf den ersten Blick deutlich wurde, dass diese ›Bürgerbewegung‹ nur zwei Ziele hatte, nämlich die Landschaft zuzuasphaltieren und Bofingers Gewinn zu mehren, hielt er sich von offiziellen Positionen innerhalb der Initiative fern und lancierte stattdessen einen Strohmann an ihre Spitze. Niemand eignete sich besser zu dieser Marionettent-ätigkeit als Kessel, der brave Schoßhund. Der gute Mann war zugleich Garant für die Steuerbefreiung, die der Initiative bald zugesprochen wurde: Schließlich diente sie offiziell gemeinnützigen und in keiner Weise eigennützigen Zwecken. Alle Spenden, die Bofinger leistete, reduzierten somit seine Steuerlast. Verstehen Sie, wie das funktioniert?«
Neundorf pfiff durch die Zähne. »Früher nannten wir so jemanden einen Geldscheißer.«
»Vollkommen richtig. Bofinger gründet die Initiative zum Bau der neuen Straße, investiert einige tausend Mark als gemeinnützige Spenden, die ihm zugleich seine Steuerlast um mehrere tausend Mark mindern, und verdient am Schluss am Bau der Straße mehrere Millionen. Unterstützung findet er fast täglich durch Parteifreunde in der Umgebung, die ebenfalls lauthals den Neubau der vierspurigen Trasse fordern. Eine Hand wäscht schließlich die andere.«
»Kessel machte mit?«
»Logisch. Garantiert wurde ihm sein Entgegenkommen finanziell versüßt. Bis zu dem Zeitpunkt, als das ganze Dorf darüber tratschte, dass Bofinger ein Verhältnis mit seiner Frau hatte. Kessel war wohl der Einzige, der nichts davon wusste.«
»Er reagierte?«
»Allerdings. Hätte ihm kein Mensch zugetraut. Aber die Sache mit seiner Frau ging ihm wohl doch an die Nieren. Er schrieb einen kleinen, aber feinen Leserbrief an die Lokalzeitung. Als die das Schreiben aus Rücksicht auf den lieben Herrn Bofinger nicht veröffentlichte, schickte er noch einen, diesmal an die überregionale. Jetzt kam er, und wie!«
Neundorf konnte ihre Müdigkeit nicht länger verbergen. Sie gähnte laut.
»Er machte mit einfachen Worten klar, dass die Initiative eine Scheinorganisation ist, die einzig und
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