Schwaben-Sumpf
schon gehen. Wir machen alles schön langsam der Reihe nach durch.« Verdammte Kacke, wann hält die endlich ihre Fresse? Er war müde, genervt und schlecht gelaunt, hatte keine Lust, sich auf lange Diskussionen einzulassen. Kurz nach fünf hatten sie ihn geweckt, die Botschaft dieses neuen Leichenfundes als Begründung. Und mit Flüchen und Verwünschungen auf den Lippen war er aus dem Bett gekrochen und hatte sich für die Tour nach Schwäbisch Gmünd hergerichtet – so leise wie möglich, um Sophia ja nicht aus dem Schlaf zu reißen. Und jetzt saß er hier, morgens um acht, zwei schwarze Tassen Kaffee und das Nichts eines hauchdünnen Croissants in sich, starrte auf die beiden prall gefüllten Keks- und Pralinendosen mitten auf dem Tisch und wartete auf die irrsinnig spannenden Enthüllungen dieser nervigen Person. Und zu allem Elend setzte genau in diesem Moment der altbekannte Geräuschpegel wieder ein.
»Ich weiß wirklich nicht, wie das funktionieren soll. Ich und den Mörder finden«, sagte die Frau.
Felsentretter donnerte mit seiner Faust auf den Tisch, dass mehrere Kekse und Pralinen aus den Dosen flogen und kreuz und quer auf der fein gehäkelten Decke landeten. Er schenkte ihnen keine Beachtung, konzentrierte sich auf die Frau. »Also, Sie haben den Köter Ihrer Nachbarin ausgeführt wie jeden Abend«, sagte er, »dieselbe Route, dasselbe Tempo, nur etwas später als sonst.« Er versuchte, sich die Szene auszumalen, wie diese schlanke, hoch aufgeschossene Gestalt mit einem kläffenden Vierbeiner an der Leine durch die Straßen schlich, wurde durch ein anschwellendes Klavier-Tremolo um seine Konzentration gebracht.
Sie musterte ihn aufmerksam, die Stirn in Falten gelegt, mit deutlich veränderter, jetzt kritischer Miene, zögerte mit ihrer Antwort. »Etwas später als sonst, richtig«, bestätigte sie dann, »Marion schreibt heute eine Klassenarbeit in Englisch, deshalb lernten wir gemeinsam. Vokabeln abhören, Grammatik, einen kurzen Text übersetzen, Sie kennen es vielleicht. Mein Mann hatte keine Zeit, deshalb übernahm ich die Aufgabe. Das ging bis fast um zehn. Ich brachte die Kinder ins Bett, läutete dann bei Frau Nieber. Dass es so spät war, ist kein Problem. Sie geht eh nicht vor Mitternacht ins Bett. Nur Napoleon wartete schon ganz ungeduldig. Sonst gehen wir so gegen neun, halb zehn aus dem Haus, und die Tiere haben ein genaues Gespür für Zeit, verstehen Sie?«
»Ja ja. Und dann?«
»Dann marschierten wir los, wie immer. Am Faulturm vorbei durchs Honiggässle, dann das kurze Stück durch den Hahnenbach. Napoleon kennt den Weg genau. Er weiß, dass ich in der Vorderen Schmiedgasse bei der Zeitung immer stehen bleibe, um dort die aktuellen Seiten zu lesen. Das stört ihn überhaupt nicht. Er bleibt ordentlich an der Leine, schnuppert dort in der Umgebung herum. Ja, und anschließend folgen wir der Straße bis kurz vor den Schmiedturm und biegen rechts in die Turmgasse ein. Dort lasse ich Napoleon dann springen, da fährt kaum ein Auto. Wir laufen am Wasserturm vorbei zum Rinderbacher Turm und dann …« Sie brach mitten im Satz ab, schaute Felsentretter überrascht an. »Aber das interessiert Sie wohl gar nicht mehr, denn dort ist es ja passiert.«
Meine Fresse, endlich hat die es begriffen. »Ja. Was haben Sie gesehen?«
»Die Gestalt – ich konnte zu dem Zeitpunkt ja nicht erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau war, es war zu dunkel – lief direkt auf den Turm zu. Ich war vielleicht noch zehn Meter davon entfernt, als von rechts, also der Rinderbacher Gasse her dieses Auto gerast kam. Ja, gerast ist der richtige Ausdruck. Und dann bretterte es voll auf den Turm zu.«
»Auf den Turm?«
»Ja, der Rinderbacher ist ein Torturm, durch den Sie durchlaufen können.«
»So meinen Sie das, ich verstehe.« Felsentretter nickte, hatte den Schauplatz etwa vor einer halben Stunde im Beisein von Neundorf und den örtlichen Beamten besichtigt. Die Kollegen hatten die Leiche im Lauf der Nacht untersucht, waren erst gegen Morgen darauf gestoßen, dass sie mit dem Stuttgarter Mordfall zu tun haben könnte.
»Ja, und als ich genauer hinsah, ist es auch schon passiert«, erklärte Ulrike Schneider, »die Gestalt hatte den Turm gerade erreicht, als sie von dem Auto erfasst wurde. Ich schrie laut auf und wollte auf die drohende Gefahr aufmerksam machen, da flog sie auch schon zur Seite. Napoleon bellte, das Auto raste weiter, durch den Turm durch, er ist ja breit genug, das ist überhaupt kein
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