Schwaben-Sumpf
haben, oder? Hat jemand ihn oder die Wagen beobachtet? Dieser Mann, dem das Auto entwendet wurde, fiel dem kein anderes Fahrzeug auf, das plötzlich in der Nähe stand?«
»Verdammte Kacke, ich kümmere mich darum. Ich nehme an, du hast es auf Heimpolds Firma abgesehen. Nach den Äußerungen seiner Schwiegermutter.«
»In der Tat. Ich will jetzt gleich anrufen und einen Termin vereinbaren.« Neundorf ließ den Kollegen stehen, betrat ihr Büro. Der Geruch nach abgestandenem Kaffee lag in der Luft. Sie blickte in ihre Maschine, merkte, dass sie am Vortag einen Rest in der Kanne vergessen hatte, schüttete ihn weg, brühte frischen auf. Als sie durch das Fenster schaute, sah sie dünne Wolkenstreifen über den Rotenberg ziehen. Die Weinberge rings um die Grabkapelle der Königin Katharina erstrahlten im ersten frischen Grün des Jahres. Ihr Blick überflog die weitläufigen Industrieanlagen im Tal. Sie hatte die Bemerkung der Frau im Ohr: diese verdammte Firma, sie suchte auf ihrem Schreibtisch nach Unterlagen über den Betrieb. Robert Heimpold, Geschäftsführer der Afrimport GmbH, hatte sie sich notiert. Sie erinnerte sich, den Namen irgendwann einmal gelesen zu haben, dachte an Kochs theatralisches Geschwafel, mit dem er die Bedeutung des Unternehmens gepriesen hatte. Irgendetwas von wichtigem Zulieferer anderer Firmen, was auch immer das bedeuten mochte.
Sie gab die Nummer ein, hatte eine Marion Wieland am Ohr, die sich als Robert Heimpolds persönliche Sekretärin vorstellte.
»Neundorf vom Landeskriminalamt«, wies sie sich aus. »Sie sind informiert, was Ihren Chef betrifft?«
»Herr Heimpold?«, antwortete die Frau. »Er ist noch nicht da. Ich muss Sie bitten, später noch einmal anzurufen.«
Sie wusste offensichtlich noch nicht Bescheid, was geschehen war, hatte zudem die Frage falsch verstanden. Neundorf beschloss, sie vorerst im Unklaren zu lassen, erkundigte sich nach der Adresse des Unternehmens.
»Wir sind oben in Vaihingen«, erklärte Marion Wieland, »also die Verwaltung.«
Neundorf notierte sich die genaue Anschrift in dem zweihundert Meter höher als die Innenstadt und die Neckarvororte gelegenen Stadtteil Stuttgarts, kündigte ihren Besuch für die nächste Stunde an.
»Aber ob Herr Heimpold dann zu erreichen ist und vor allem ohne Absprache …«
»Das wird schon gehen«, antwortete sie, »Sie werden sehen.« Sie beendete das Gespräch, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, trank in kleinen Schlucken.
Fünfundvierzig Minuten später betrat sie das postmodern wirkende Gebäude, in dem die Verwaltung der Afrimport GmbH residierte. Geradlinige Steinsäulen, große rechteckige Glasflächen, bunte Metallstreben, alles in plakativen Farben ausgeführt. Architektonisch, baubiologisch, atmosphärisch wohl der letzte Schrei, überlegte sie, ließ ihre Augen durch die Eingangshalle streifen. Sie hatte trotzdem Mühe, sich mit diesem Stil anzufreunden, fand das Gebäude kalt und aseptisch, vermisste Menschen, Leben, Wärme, Gefühle. Ihrer Empfindung nach war das nicht das Werk eines erfahrenen, mit beiden Beinen mitten im Leben stehenden Architekten, eher die im Drogenwahn oder Alkoholdelirium entstandene Kreation eines in wohlhabenden Zirkeln im Moment der Auftragsvergabe hyper angesagten Designers.
Sie wies sich bei dem blau uniformierten privaten Wachmann aus, wartete, bis der den Termin mit Frau Wieland telefonisch bestätigt hatte, marschierte dann schnurstracks in den allseitig und sogar im Deckenbereich verspiegelten Aufzug, erklomm drei Stockwerke mit kritischem Blick auf sich selbst. Die optimale Methode, jede Frau einzuschüchtern, indem ihr all jene körperlichen Unzulänglichkeiten unbarmherzig vor Augen geführt wurden, die ihr in dieser Welt des schönen Scheins zum unverzeihlichen Makel gerieten: Zehn Gramm zu wenig Busen, fünf Zentimeter zu viel Taille, allen Epilieraktivitäten zum Trotz immer noch ein winziges Haar an einem Bein, zudem der Hauch einer grauen Strähne neben dem Scheitel, bei einer allzu heftigen Kopfbewegung nach links die Möglichkeit eines Anscheins einer Falte am Kinn. Wie sie sich die Chefsekretärin der Firma vorzustellen hatte, wusste sie schon, bevor sie sie zum ersten Mal sah: Langbeinig, spindeldürr, kurzberockt, blond.
Umso größer dann ihre Überraschung, als sie den Fahrstuhl verlassen hatte und der Frau gegenüberstand: Marion Wieland entpuppte sich als völlig normale, fast hausmütterchenartig gekleidete Mittfünfzigerin, die ihr einen Platz
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