Schwaben-Wahn
aneinander gehefteten, jeweils etwa zehn Zentimeter langen, vergoldeten Metallplättchen, die gewaltsam – an den aufgerissenen, schmalen Ringen an jedem Ende deutlich zu erkennen – vom Rest der Kette abgetrennt worden waren. Dem Gewicht und dem Aussehen nach handelte es sich um nicht besonders wertvollen, vielleicht bei fliegenden Händlern, auf keinen Fall aber bei einem Juwelier erstandenen Tand. »Das ist billiges Zeug«, urteilte Braig, »nicht gerade von der Qualität, die ich bei einem Mann wie Herzog vermuten würde.«
Neundorf stimmte ihm zu. »Wir sind uns einig. Nach allem, was ich über den Lebensstil des Mannes weiß, passt das nicht zu ihm.«
»Noch dazu zerrissen und unvollständig. Als Folge einer Auseinandersetzung mit dem Täter?«
»Schwer zu sagen«, antwortete die Kommissarin, »sie fanden sie in seiner Gesäßtasche. Bei einem Kampf mit seinem Mörder wäre er wohl kaum dazu gekommen, die Kette einzustecken.«
Braig dachte über die Aussage seiner Kollegin nach, gab ihr insgeheim Recht. »Sie fanden sie zusammen mit dem Blatt, mit dem seltsamen Text?«
»
Ich bin das erste Schwein, das büßen muss
. Ja. Was aber nicht bedeutet, dass beide zur gleichen Zeit dorthin gekommen sein müssen.«
»Du meinst, er kann die Kette schon vorher bei sich getragen haben, sodass sie mit dem Verbrechen überhaupt nichts zu tun hat?« Er legte seine Stirn in Falten. Die Wunde an seiner Schläfe schmerzte. »Ist es nicht äußerst unbequem, ja sogar hinderlich, solche Gegenstände in der Tasche mit sich zu führen? Solange du läufst, mag das kein Problem sein, aber sobald du dich irgendwo hinsetzen willst ...« Er ließ den Rest des Satzes offen, wartete auf ihre Antwort.
»Du hast Recht«, stimmte sie ihm zu, »besonders angenehm fühlt sich das wohl kaum an, besonders nicht beim Sitzen. Aber trotzdem muss er es eine Weile bei sich getragen haben. Die Metallteile sind nämlich leicht verbogen, hier, siehst du?« Sie nahm die Plastiktüte auf, hielt sie hoch, wies auf den Schmuck.
Braig betrachtete die vergoldeten Plättchen, sah die ungleichmäßige Verformung.
»Vielleicht durch den Druck des Autositzes entstanden«, spekulierte sie, »das vermutet jedenfalls Rössle.«
»Haben sie die Kette auf Fingerabdrücke überprüft?«
»Vielleicht haben wir auf diesem Weg Glück. Sie fanden Herzogs eigene und die einer fremden, nicht gespeicherten Person.«
»Das ist immerhin ein Ansatz. Wir brauchen die Abdrücke von allen verdächtigen Personen. Vielleicht hat die Kette doch mit dem Mord zu tun.« Braig überlegte. »Wer trägt solchen Schmuck und wo kann man ihn kaufen?«
»Junge Leute«, erklärte seine Kollegin, »Mädchen. Wo du ihn kaufen kannst? Auf Flohmärkten, bei Kunsthandwerkern, fliegenden Händlern, was weiß ich.«
»Ist es Massenware?«
»Ich fürchte, ja. Obwohl es sicher auch viele Einzelanfertigungen gibt, aber das erscheint mir hier eher unwahrscheinlich.«
»Wir sollten uns trotzdem an die Presse wenden und ihnen ein Foto geben. Vielleicht kann jemand etwas damit anfangen.«
»Das habe ich bereits getan«, erklärte Neundorf, »in mehreren Zeitungen ist es heute schon abgebildet.«
»Was ist mit dem Text? Du nimmst ihn ernst?«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Besonders wohl ist mir nicht dabei.
Ich bin das erste Schwein, das büßen muss
. Wenn das wirklich als Drohung zu verstehen ist, müssten wir zuerst herausfinden, wofür Herzog büßen sollte. Was hat er getan? Weshalb will sich jemand an ihm rächen?«
»Das wissen wir doch. Er hat mehreren Leuten die Rückgabe des Führerscheins verweigert.«
»Das wäre Anlass genug, in der Tat. Bei dem Autowahn, der in unserer Gesellschaft kultiviert wird, und all den kranken Hirnen, die sich davon beeinflussen lassen, kann das manchen zu Verzweiflungsattacken treiben, das ist nachvollziehbar. Warum aber ist Herzog dann nur das
erste Schwein
?«
»Weil sich der Täter noch von einer anderen Person ungerecht behandelt fühlt. Wer seines Führerscheinentzugs wegen einen Menschen ermordet, läuft wegen jeder Nichtigkeit Amok – und sei es nur einer Fliege an der Wand wegen.«
»Dann müssen wir diese Fliege an der Wand möglichst schnell finden, sonst kann es bald ein nächstes Opfer geben. Ich fürchte, wir müssen wirklich mit dieser Drohung rechnen.« Sie sah auf ihre Uhr, schrak zusammen. »Kurz vor neun. Jetzt muss ich mich aber beeilen.« Sie nahm die Plastiktüte wieder an sich, zeigte zur Tür. »Frau Fischer
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