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Schwaben-Wahn

Schwaben-Wahn

Titel: Schwaben-Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Verdächtigen gegenüber die beruflich notwendige Zurückhaltung verlieren – mehrfach schon hatte es deswegen Schwierigkeiten gegeben. Sein cholerischer Charakter, die bestimmten Vorurteilen gegenüber nicht sonderlich kritische Einstellung sowie die physische Potenz seines massigen Körpers waren oft genug Ursache für massive Beschwerden von ihm angeblich nicht korrekt behandelter Personen gewesen. Bisher war es ihm jedoch immer gelungen, von Kollegen und Vorgesetzten unterstützt, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
    »Dieses Schwein hier wollte mir weismachen, sein Saufkumpan Wangbiehler habe den Sonntagabend mit ihm und einem anderen Nichtsnutz verbracht«, polterte der Kollege.
    »Und? Stimmt es nicht?«
    Felsentretters Antwort ließ nicht lange auf sich warten. »Hier, der Herr steht zur Verfügung.« Für wenige Sekunden herrschte Ruhe, dann war er erneut zu vernehmen. »Los, wird’s bald!«
    Die Stimme eines anderen Mannes ergänzte seine Worte. »Noi, er isch net mehr do gwä«, erklärte er im breitesten Schwäbisch. »Mittags gege ois oder zwoi isch er weg.«
    »Gegen dreizehn oder vierzehn Uhr?«, fragte Braig. Er wusste, was diese Aussage bedeuten konnte. Den Worten Olga Fischers zufolge fühlte sich Karl Herzog schon am Nachmittag des Sonntag bedroht.
    »Ja, so um die Zeit«, bestätigte der Mann.
    »Und wo ging er hin?«
    »Des woiß i net. Er hot mei Auto gnomme ond isch verschwunde.«
    »Wie lange blieb er weg?«
    »Wie lang? Hano, seit Sonntagmittag han i den nemme gsehe.«
    »Wie bitte?«, fragte Braig. »Wangbiehler ist mittags bei Ihnen verschwunden und hat sich seither nicht mehr gemeldet? Und was ist mit Ihrem Auto?«
    »Ach, des isch koi Problem«, antwortete der Mann, »irgendwann taucht des wieder auf ond no kriag i a Hand voll Scheine dazu.«
    »Geld?«
    »Was denn sonscht? Der Wangbiehler isch reich, sei Vater zahlt alles.«
    Braig hatte genug gehört, um zu begreifen, wie wichtig die Aussagen des Mannes für ihre Ermittlungen sein konnten. Er bat Felsentretter, auf ihn zu warten, versprach, so schnell wie möglich nach Göppingen zu kommen. Wenn Wangbiehler entgegen ihrer bisherigen Annahme dort schon am Sonntagmittag verschwunden war, veränderte das den Sachverhalt beträchtlich: Er kam wieder als Täter infrage.
    Braig ließ sich von Neundorf am Stuttgarter Hauptbahnhof absetzen, nahm den nächsten der im Dreißig-Minuten-Takt verkehrenden Züge. Er spürte die zunehmenden Kopfschmerzen, massierte vorsichtig seine Schläfen. Lange konnte er diesen Zustand nicht mehr ertragen. Er lehnte sich in seinen Sitz zurück, atmete tief durch. Das Toben in seinem Kopf nahm kein Ende. Die Folgen des Unfalls ließen sich nicht länger ignorieren. Braig machte sich Vorwürfe, nicht auf die Warnungen des Arztes gehört zu haben. Er musste sich schonen, durfte seine Gesundheit nicht weiter vernachlässigen. Der Vorfall in Tübingen und die Belastung durch das fast unerträgliche Klima forderten einen zu hohen Preis. Er massierte seine Stirn, wischte sich den Schweiß von der Haut. Die verzerrte Nationalhymne ertönte. Diesmal bekam er seine Mutter ans Ohr.
    »Denkst du an den Freitagnachmittag?«, fragte sie.
    »Freitagnachmittag?«
    »Frau Dr. Ohlrogges Geburtstagsfeier.«
    Er hatte den Termin vollkommen vergessen, obwohl sie ihm mehrfach davon erzählt hatte. Am Tag, bevor sie nach Venedig gefahren waren, hatte sie extra noch einmal angerufen, um ihm das Datum einzubläuen. Er wusste genau, was Dr. Ohlrogge seiner Mutter bedeutete. Die Ärztin hatte ihr vor ein paar Jahren das Leben gerettet, später dann mit ihren Forschungen über Sterbeerlebnisse wieder zu Bewusstsein gekommener Patienten einen neuen Lebensinhalt vermittelt. Seither war seine Mutter unablässig damit beschäftigt, Dr. Ohlrogge in ihrer Arbeit zu unterstützen, ein Tatbestand, der, wie Braig aus eigener Erfahrung wusste, gar nicht hoch genug einzuschätzen war. Die neue Aufgabe hatte dazu beigetragen, dem Dasein seiner Mutter wieder einen Sinn zu geben. Sie hatte sich mit Haut und Haaren auf die Forschungen der Ärztin gestürzt und dabei endlich begriffen, dass es mehr gab, als sich nur auf das einzige ihr verbliebene Kind, Braig, zu konzentrieren. Ihre Eifersucht, ihr krampfhaftes Bemühen, den Alltag ihres längst erwachsenen Sohnes minutiös zu kontrollieren und mitzugestalten, ihm weiterhin ihre volle mütterliche Zuwendung zukommen zu lassen, waren im Verlauf dieser Zeit einem normalen, für beide Seiten erträglichen

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