Schwach vor Sehnsucht
noch bei dir, oder seid ihr schon zurück ins Haus gezogen?” fragte ihre Mutter.
“Er wohnt noch bei mir.”
“Wir konnten ja gestern Abend nicht mit Joshua sprechen.”
“Er war müde, Mutter.”
“Aber ihr habt… geredet? Nach der Party?”
“Wir haben uns heute Morgen unterhalten”, erwiderte Joanna steif. “Allerdings nur über unwichtige Dinge.”
“Jedenfalls sieht Joshua gut aus”, mischte sich ihr Vater ein.
“Natürlich tut er das!” brauste Cora auf. “Er hat gerade ein Jahr lang in der amerikanischen Sonne verbracht. Es ist unser kleines Mädchen, das in dieser Zeit gelitten hat.”
Joanna verzog das Gesicht. Vor einigen Monaten war ihrer Mutter plötzlich der Einfall gekommen, von Joanna als bedauernswerter verlassener Ehefrau, zu sprechen und zu behaupten, Joshua habe kein Recht, ihr so etwas anzutun. Joanna ignorierte es, wie sie es neuerdings mit allem machte, was ihre Mutter sagte.
“Esst heute Abend hier bei uns. Dann können wir uns alle zusammen unterhalten.”
“Cora …”
“Wir hatten geplant, allein zu essen. Ich war gerade unterwegs und habe die Lebensmittel besorgt.”
“Dann hast du bestimmt genug für vier gekauft. Dein Vater und ich werden zu euch kommen.”
“Aber…”
“Cora, die beiden möchten allein sein”, sagte Joannas Vater entnervt.
“Sei nicht albern, Gerald. Du hast deine Tochter gehört. Joshua und sie sind noch immer entfremdet.”
Er seufzte. “Unsere Anwesenheit wird nicht helfen.”
“Joshua ist unser Schwiegersohn”, sagte Cora gekränkt.
“Und Joannas Ehemann. Sie müssen allein miteinander reden. Wir würden nur stören.”
“Also wirklich!” rief Cora empört und blinzelte gleichzeitig scheinbar Tränen weg.
Joanna stand auf. “Es tut mir Leid, Mutter, aber ich möchte heute Abend wirklich mit Joshua allein sein. Vielleicht am Ende der Woche?” Sie bemerkte, dass ihr Vater ihr einen bewundernden Blick zuwarf.
“Vielleicht”, erwiderte ihre Mutter hochmütig. “Wir dürfen dich nicht länger aufhalten, stimmt’s? Du willst sicher nach Hause.”
Joanna unterdrückte ein Lächeln, als ihr Vater ihr zuzwinkerte. “Ja, tatsächlich”, goss sie Öl ins Feuer. “Ich will das Hähnchen zubereiten.”
“Lass dich durch uns nicht daran hindern!”
Ihr Vater ging mit ihr nach draußen zum Auto. “Ich liebe deine Mutter, Joanna”, sagte er lachend, “aber manchmal kann sie sehr gefühllos sein. Einen schönen Abend, Liebling.” Er küsste sie herzlich auf die Wange. “Und vergiss um Himmels willen nicht, uns zum Essen einzuladen, wenn du und Joshua wieder umgänglich seid.”
“Werde ich nicht vergessen”, versprach Joanna. Ihre Mutter war nicht nur gefühllos, sie war völlig rücksichtslos. Sie wollte unbedingt Joshua ausfragen, und es interessierte sie überhaupt nicht, dass er und ihre Tochter ein Jahr lang getrennt gewesen waren und persönliche Dinge zu besprechen hatten.
Joanna hatte noch nie einen Moment wie diesen mit ihrem Vater zusammen erlebt. Einmal hatte er nicht zu seiner Frau gehalten, sondern Verständnis für ihre, Joannas Gefühle gehabt, und das machte sie glücklich.
Als sie in die Wohnung kam, saß Dan an dem langen Esstisch und arbeitete konzentriert.
Tisch und Boden waren mit Skizzen übersät. Neben sich hatte Dan die Zeichnungen gestapelt, die zusammen mit Joannas Buch dem Verleger zur Genehmigung vorgelegt werden sollten.
Dan sah nicht einmal auf, und so packte sie zunächst in der Küche ihre Einkäufe aus, bevor sie zu ihm ging. “Musst du immer alles in Unordnung bringen?” Sie hob das Papier vom Boden auf, dann räumte sie sechs schmutzige Kaffeebecher vom Tisch. “Hättest du nicht zumindest jedes Mal denselben benutzen können?”
“Es sind nicht nur meine”, sagte er gleichgültig.
“Nein?” Joanna blieb auf dem Weg in die Küche stehen.
“Joshua ist zurückgekommen, und …”
“Wie bitte?” Joanna ließ fast die Becher fallen. “Und ihr habt zusammen Kaffee getrunken?”
Jetzt sah Dan auf. “Ist doch viel besser als ein Pistolenduell.”
Joanna setzte sich zittrig in einen Sessel. “W… worüber habt ihr euch unterhalten?”
“Das Wetter, Fußball, Amerika …”
“Dan!”
“Ehrlich”, beteuerte er.
“Joshua hat sich noch nie für Fußball interessiert.”
“Wir haben aber darüber gesprochen.” Dan zuckte mit den Schultern. “Und er wusste, wovon er redete. Er ist ein netter Mann, wenn man erst an seiner Reserviertheit vorbei
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