Schwaerzer als der Tod Thriller
langsamer, weniger beliebt.
Cody war klein, unscheinbar und etwas merkwürdig. Anne hatte schon bemerkt, dass er keine richtigen Freunde hatte. Er hatte Dennis Farman, aber das war eine symbiotische Beziehung, die allein auf Notwendigkeit beruhte. Keines der Kinder mochte Dennis, weil er sie ständig drangsalierte und schikanierte. Er hatte sich mit Cody zusammengetan, weil der ihn für seine Stärke bewunderte, und Cody hatte sich mit Dennis angefreundet, weil es ihm letztlich besser bekam, wenn er für Dennis Farman war als gegen ihn.
»Ihm war die ganze Nacht schlecht«, sagte seine Mutter. »Und heute Morgen auch noch. Er hat den Tag im Bett verbracht. Ich konnte ihn nicht dazu bringen, etwas zu essen.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mit Cody spreche?«, fragte Anne. »Ich habe mal Psychologie studiert…«
Sie fühlte sich wie eine Betrügerin, als sie das sagte. Sie
war bei weitem keine Kinderpsychologin. Aber im Moment hatten die Kinder niemand anderen als sie.
Renee Roache führte sie den kurzen Flur hinunter zu einem Zimmer, dessen Tür mit Krieg-der-Sterne -Aufklebern zugepflastert war, klopfte und öffnete die Tür dann einen Spalt.
»Cody? Du hast Besuch. Miss Navarre ist da.«
In dem Zimmer war es totenstill.
Sie machte die Tür ganz auf und trat ein. Anne folgte ihr. In dem Zimmer hing der durchdringende Geruch von Turnschuhen, wie er typisch für zehnjährige Jungen war - eine Mischung aus Schweiß, Schmutz und einem Mangel an Körperpflege. Es war dunkel, und die Jalousie vor dem einzigen Fenster war heruntergezogen. Es dauerte einen Moment, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Nach und nach konnte sie eine kleine Erhebung auf dem breiten Bett ausmachen, das eine Ecke des kleinen Zimmers ausfüllte.
Codys Mutter setzte sich auf die Bettkante, knipste die Nachttischlampe an und zog die Decke vom Kopf des Jungen. Er stellte sich schlafend, drückte seine Augen dabei allerdings ein bisschen zu fest zu.
»Warum hast du mir nicht gesagt, was gestern passiert ist, Cody?«, fragte seine Mutter.
»Es ist nichts passiert«, sagte er.
Ein Auge öffnete sich. Seine Mutter hielt ihm seine Brille hin, provisorisch mit Klebeband geflickt. Er setzte sich auf und schob die Brille auf die Nase, blinzelte in das helle Licht.
»Hallo, Cody«, sagte Anne leise. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Wie geht es dir?«
Er rieb sich über die Nase und zog die Schultern bis zu den Ohren hoch, dann drückte er die Knie an die Brust und umklammerte sie fest.
»Deine Mutter sagt, dass du krank warst.«
Sie konnte sehen, wie die Gedanken durch seinen Kopf rasten, wie er sich fragte, was sie wusste, was er erzählen sollte, was gestehen.
»Ich weiß, was gestern im Park passiert ist«, sagte Anne. »Ich habe mit Wendy und Tommy gesprochen.«
»Warum hast du mir nichts davon erzählt, Cody?«, fragte seine Mutter noch einmal. Sie klang verletzt.
Cody sah zuerst sie, dann Anne an, dann blickte er nach unten und kratzte sich durch die rote Schlafanzughose das Schienbein.
»Mrs Roache«, sagte Anne, »hätten Sie etwas dagegen, wenn Cody und ich einen Moment allein miteinander sprechen?«
Renee Roache zögerte kurz, aber dann stand sie auf und verließ das Zimmer. Anne setzte sich auf die Bettkante, nah am Fußende, um den Jungen nicht zu bedrängen.
»Das muss ganz schön unheimlich gewesen sein, als ihr die Leiche gefunden habt. Schrecklich. Ich glaube, ich wäre einfach weggelaufen, wenn mir das passiert wäre. Ich wäre bestimmt sofort nach Hause gelaufen.«
Sie sah, dass er sich ein klein wenig entspannte. Wenn sie sagte, dass sie weggelaufen wäre, dann war es vielleicht nicht so schlimm und peinlich, dass er weggelaufen war.
»Ich bin ja auch weggelaufen«, gestand er kleinlaut.
»Kann ich gut verstehen. Mir wäre außerdem schlecht geworden. Ich glaube, vielen Leuten wäre schlecht geworden.«
»Ist Tommy schlecht geworden?«
»Er war jedenfalls ganz durcheinander.«
Er dachte einen Moment lang darüber nach. »Ich wette, Dennis ist nicht schlecht geworden.«
»Das weiß ich nicht«, sagte Anne, und ihr fiel ein, was Wendy gesagt hatte, nämlich, dass Dennis die tote Frau angefasst
hatte. Sie dachte darüber nach, was sie im Wald gesehen hatte - Frank Farman, der seinem Sohn erlaubte, herumzulaufen und sich neugierig umzusehen, als wäre er auf einem Spielplatz. »Glaubst du nicht?«
Cody schüttelte den Kopf, er sah von ihr weg, die Mundwinkel nach unten gezogen.
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