Schwaerzer als der Tod Thriller
dahergelaufenen Fremden seine Lebensgeschichte erzählte, nicht einmal Leuten, die sie besser kannte. Er schätzte sie als eine der Frauen ein, die sich wenn überhaupt nur dem besten Freund oder der besten Freundin anvertraute - möglicherweise ein gebranntes Kind.
Der Kellner brachte den Wein. Vince kostete ihn und nickte. Sie bestellten das Essen und nippten an ihrem Wein.
»Anne«, sagte er, »ich muss Ihnen etwas gestehen. Ich arbeite nicht für das Büro des Sheriffs. Ich bin Special Agent beim FBI. Aber ich möchte Sie bitten, das erst einmal für sich zu behalten. Ich bin auf die operative Fallanalyse von Serienmorden spezialisiert.«
Sie machte große Augen, sagte aber nichts.
»Ich weiß nicht, wie viel Ihnen Detective Mendez erzählt hat«, fuhr er fort, »aber wir haben Anlass zu glauben, dass Lisa Warwick - die Frau, die Ihre Schüler im Park gefunden haben - das letzte Opfer in einer Serie von mindestens drei Morden ist.«
»O Gott!«
»Darüber hinaus wird eine Frau vermisst. Sie sehen also, es ist von eminenter Bedeutung, dass wir so viele Informationen wie möglich bekommen.«
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen weiterhelfen kann«, erwiderte sie. »Ich unterrichte eine fünfte Klasse.«
»Detective Mendez sagte mir, Sie haben einen guten Draht zu den Kindern. Das fand ich heute Nachmittag bestätigt.«
Sie lachte zynisch auf. »Und wie gut. Ich habe einen so guten Draht zu ihnen, dass ich nicht den blassesten Schimmer von den Mordphantasien Dennis Farmans hatte.«
»Wie soll man auch auf eine solche Idee kommen?«, fragte Vince. »Wie viele Leute stellen sich vor, dass ein Fünftklässler
ein künftiger Mörder sein könnte? Niemand. Das ist ein höchst abweichendes Verhalten. Kein normal denkender Mensch zieht so etwas auch nur in Betracht.«
»Und das ist der Punkt, an dem Sie ins Spiel kommen.«
Er schenkte ihr ein halbes Lächeln. »Stimmt. Ich bin es gewohnt, nicht wie ein normal denkender Mensch zu denken. Ich habe viel Zeit damit verbracht, Mörder zu studieren und herauszubekommen, wie sie zu dem wurden, was sie sind, wie sie ticken.«
»Können Sie da nachts überhaupt noch ruhig schlafen?«
»Ausgezeichnet sogar«, bekannte er. »Zumindest solange ich die richtigen Tabletten nehme.«
»Warum tun Sie überhaupt eine solche Arbeit?«
»Weil ich vielleicht Leute davor bewahren kann, einem Mord zum Opfer zu fallen, wenn ich gut genug bin. Vielleicht weil ich die Probleme eines Jungen wie Dennis Farman erkennen und die richtigen Leute dazu bringen kann, sich um ihn zu kümmern. Das können Sie sicher nachvollziehen.«
Sie nickte und sah zur Seite, ihre Augen schimmerten feucht.
»Es tut mir leid, dass Sie diese Seite der Welt kennenlernen müssen, Anne«, sagte Vince, und es tat ihm tatsächlich leid. Sie hatte wahrscheinlich noch Ideale und glaubte, diese in der Welt verwirklicht zu finden. »Ich weiß, wie schwer das für Sie ist.«
»Ich mache mir Sorgen, dass sich die richtigen Leute nicht um Dennis kümmern«, erklärte sie, »und jetzt noch viel weniger. Er ist von der Schule verwiesen worden. Keiner kümmert sich um ihn, keiner passt auf ihn auf. Wer wird ihm Grenzen zeigen? Seine Eltern arbeiten beide. Und selbst wenn sie ständig zu Hause wären, würde das vermutlich nichts helfen, sonst wäre er gar nicht erst zu dem geworden, was er ist.«
Vince seufzte. Wenn er sie zum Weinen hätte bringen wollen, hätte er ihr zugestimmt. In einem Seminar hätte er Dennis Farman womöglich sogar als Beispiel für ein Kind angeführt, das man mit ziemlicher Sicherheit verloren geben musste.
Seine Kollegen in Quantico dachten bestimmt dasselbe. Er hatte ihnen Dennis Farmans Zeichnung gefaxt. Er würde morgen mit ihnen sprechen, aber er wusste schon jetzt, was sie sagen würden. Sie würden sagen, dass Dennis Farman längst ein gewalttätiges, antisoziales Persönlichkeitsmuster ausgebildet hatte. Seine Zeichnung zeugte von sadistischen Phantasien - sadistische Sexualphantasien bei einem Kind, das noch nicht einmal die Pubertät erreicht hatte. Was bei diesem Kind alles schiefgegangen war, ließ sich wahrscheinlich nicht mehr wiedergutmachen.
Aber davon würde er Anne nichts sagen.
»Sie hatten völlig recht mit dem, was Sie zu seinem Vater sagten«, erklärte er stattdessen. »Das Kind muss zu einem Psychiater.«
»Und wie bringt man den Vater dazu, das auch so zu sehen?«, fragte sie. »Frank Farman denkt wahrscheinlich, dass er die Bosheit aus Dennis herausprügeln
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