Schwätzen und Schlachten
großen und wichtigen Themen, la vida, la mar, el corazón, er fühlte sich da schnell überfordert.
Dann klingelte er beim Glaser zu Hause an, er war nicht da. Vielleicht war es die Gelegenheit? Er würde sie beim Schopf packen. Er wollte ein Muster legen und es sollte vollständig sein. Er würde, sobald es annähernd vollständig war, sehen können, was fehlte. Diese fehlenden Stücke, so lautete nun seine offizielle These, die er telefonisch sogleich an Sydow weitergab, würden die Lösung sein.
Die Lösung wovon, fragte Sydow.
Des Falls.
Und was genau ist der Fall?
Ich denke, auch das werden wir spätestens dann sehen, wenn wir uns der Lösung nähern.
Findest du nicht, wir sollten vorher wissen, was wir tun?
Sagen wir so, sagte Stanjic laut über den Lärm im U-Bahn-Schacht hinweg in den Hörer, es wäre schön, wenn es so wäre.
Du benutzt den Konjunktiv, bemerkte Sydow.
Richtig, in einer chaotischen Welt ist er der Horizont, stell es dir so vor: Wir haben nun die fünf Kacheltypen. Sie liegen vorerst noch wie Kraut und Rüben in deinem Wohnzimmer.
Eben, klagte Sydow, dieser Saustall macht mich krank.
Ja, aber denke daran, in diesem Durcheinander verborgen liegt schon das Muster, es ist in den Kacheln inhärent, wir müssen es nur legen. Wir müssen es, Kraft unserer Intuition, herausholen und ans Licht bringen, dann haben wir den Konjunktiv eingeholt und können endlich im Jetzt leben. Verstehst du?
Nein, sagte Sydow, ich verstehe nur, dass du den Saustall nicht in deiner Wohnung haben wolltest.
Du hast das viel größere Wohnzimmer, das kannst du gar nicht nutzen.
Kann ich wohl, ich wollte Lebkuchenteig ausrollen und ausstechen.
Auf dem Wohnzimmerboden? Lernst du so was bei dem Schweizer? Vermutlich, weil alle Schweizer noch bis vor einer Generation Bauern waren, sie haben sich ein ganz unverkrampftes Verhältnis zum Dreck bewahrt. Oder nein, so ist es, sie sind, wir wissen es von Asterix bei den Schweizern , sie sind derart reinlich, dass man bei ihnen alles, was unsereins auf einem Tisch verarbeitet, auch auf dem Boden machen kann.
Das habe ich nicht von dem Schweizer. Der Schweizer ist ein totaler Pedant. Beispielsweise misst er, bevors ans Ausstechen der Plätzchen geht, die Teigdicke mit einem extra Kekslineal, damit alle gleich dick werden. Er ist ein Pedant. Nein, die Idee mit dem Lebkuchenteig auf dem Boden habe ich von Pippi Langstrumpf, die macht das auch so.
Bist du sicher, deiner Identitätssuche als Mann ist geholfen, wenn du mit solchen Vorbildern arbeitest?
Ich glaube schon, ja.
Wenn du meinst. Geh doch zu mir, der Schlüssel liegt wie immer. Ich bin die nächsten Stunden sowieso nicht zu Hause.
Nicht zu Hause?
Von hinten klopfte jemand Stanjic auf die Schulter, hast du mal ne Mark?
Stanjic warf einen flüchtigen Blick zurück, ja, sagte er zerstreut, schlaf weiter. Der Euro machts eh nicht mehr lange. Du, sagte er ins Telefon, er ging ein paar Schritte weiter, ich muss Schluss machen, kann sein, dass hier gleich eine Revolution ausbricht, die Leute wollen die Mark zurück, ich melde mich!
Wann denn?, rief Sydow, wo bist –
Stanjic klappte sein Telefon zusammen und ging ins nächste Untergrundgeschäft. Eine Mark, dachte er bei sich, eigentlich komisch. Es war ihm schon mehrfach aufgefallen, dass die Leute immer noch den Hang hatten, wenn ihnen etwas besonders teuer erschien, den Europreis in Mark umzurechnen, eine Marotte, die er überhaupt nicht verstand, was sollte das bringen? Ihm war es total egal, er zahlte mit Schilling, als es den Schilling gab, er nahm den Euro, als der Euro kam, er akzeptierte den Franken in der Schweiz. Er überlegte an sich gar nicht, was irgendwas kostete, er hatte, in egal welcher Währung, so und so viel Geld zur Verfügung und das verteilte er auf die ganzen Kosten, es musste nur aufgehen, das war alles. Für mehr Kalkulation war er viel zu faul. Aber die Leute, sie riefen empört, fünf Euro für ein Sandwich? Das waren zehn Mark! Ja sicher, dachte er dann bei sich, wenn mans umrechnet, ergibt es immer irgendwas anderes, fünf Euro waren dann 10 000 Escudos und 70 000 Lire, insofern kann man mit der Mark ja noch froh sein. Auch die Österreicher rechneten, mehr als zehn Jahre nach der Euroumstellung, hartnäckig auf den Schilling um, wenn ihnen ein Betrag exorbitant hoch erschien. Siebzig Schilling, würden sie dann rufen, für ein Sandwich!
Stanjic blieb stehen, siebzig Schilling für ein Sandwich? Das war wirklich stark, so
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