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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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knetete.
    Stell dir vor, du bist in einer ausweglosen Situation – in einer scheinbar ausweglosen Situation. Es kommt nicht darauf an, in welchem Bereich, seis ein wissenschaftliches Problem, seis ein zwischenmenschlicher Konflikt, ein kriegerisches Unternehmen. Eine schwierige Situation. Was tut man? Es gibt die Möglichkeit, zu verzweifeln. Man schmeißt im Voraus den Büttel hin. Es gibt die Möglichkeit des mutigen Durchstehens – das gelingt am besten, wenn man ein Kämpfer ist oder eine reale Chance sieht, mit Kraft und Mut zu gewinnen. Zumeist, achte mal darauf, zumeist sind die Starken und die Schönen nicht besonders lustig – sie müssen es nicht, der Erfolg ergibt sich aus ihrer Stärke und Schönheit und anderen vorteilhaften Qualitäten. Aber was macht man, wenn man unterlegen ist? Wenn man weiß, man hat keine Muckis und muss aber kämpfen und man möchte aber auch nicht verzweifeln? Im besten Fall hat man Humor. Es ist – mitunter nur eine vernichtend kleine – aber es ist eine Chance auf die Überwindung der Krise, und zwar, und das ist das Interessante, durch die Veränderung des Standpunktes.
    Onkel Dagobert schaute eine Weile dem Teigkneten zu, er schenkte sich Tee und Milch nach, ich sage dir ein Beispiel.
    480 vor Christi Geburt gab es die berühmte Schlacht bei den Thermopylen, das ist ein Engpass zwischen dem Kallidromos-Gebirge und dem Golf von Manila, am Peloponnes. Stell dir vor: Du hast auf der einen Seite den Hellenenbund, das Heer der Griechen unter König Leonidas von Sparta, etwa 5000 Mann. Sie blockierten den Pass, um das persische Heer aufzuhalten – das persische Heer mit, man mache sich das klar, einer Gesamtstärke von 50   000 Mann, angeführt von Xerxes dem Ersten.
    Tante Hildegard kippte den Teig jetzt auf den bemehlten Tisch und zerteilte ihn in fünf große Stücke, die sie zu ovalen Laiben formte, im Mehl wendete und zum Aufgehen in Rohrkörbchen legte.
    Eine, Onkel Dagobert lächelte, eine ausweglose Situation, man kann es nicht anders sagen.
    Fünftausend Mann auf der einen Seite und auf der anderen ein Heer von gigantischem Ausmaß, zehn Mal so stark und siegesgewiss und gewillt, sich Griechenland unter den Nagel zu reißen.
    Ich habe, so soll Xerxes den König der Griechen freundlicherweise informiert haben, ich habe so viele Bogenschützen, dass ihre Pfeile die Sonne verdunkeln werden.
    Hoppla! Was sollte Leonidas ihm antworten? Ganz offensichtlich hatte er recht, ja, er hatte so viele Bogenschützen, dass ihre Pfeile die Sonne verdunkeln würden – eine deprimierende Aussicht, man stelle sich diese Ankündigung und ihre Auswirkung auf die Moral der Truppen vor.
    Und Leonidas? Was macht er? Zieht er den Schwanz ein? Nein. Antwortet er im selben Ton? Nein, das kann er nicht. Er hat nichts Adäquates anzubieten, er kann auf dieser Ebene nicht mithalten, er hat weder so viele Bogenschützen noch eine andere beeindruckende Zahl an Kämpfern, die er hier ins Feld führen könnte – weder verbal noch in der Realität. In dem Bewusstsein, dass seine Chancen auf einen Sieg äußerst gering sind – er wäre ein Narr, wenn er anders dächte –, macht er etwas anderes: Er wechselt den Standpunkt und ist damit interessanterweise der Überlegene. Wiewohl er sterben wird im Feld, wiewohl die Griechen diese Schlacht – trotz beeindruckend großer Verluste auf Seiten der Perser – verlieren werden. Aber in diesem Wortwechsel, in diesem Gefecht der Sprache und der Eloquenz, ist er der Überlegene.
    Xerxes also sagt, ich habe so viele Bogenschützen, dass ihre Pfeile die Sonne verdunkeln werden, und Leonidas lässt, so wird es gesagt, Folgendes antworten:
    Umso besser – dann kämpfen wir im Schatten!
    Sie lachten, verstehst du?, fragte Onkel Dagobert.
    Ja, sagte David, ich verstehe.
    Sie saßen weiter in der Küche, tranken Tee. Es roch nach Sauerteig und draußen fiel folgsam und andächtig der Schnee, Tante Hildegard legte Holz nach. Dagobert rührte ein bisschen in seiner Tasse, es gibt zum Humor die verschiedensten Thesen, alle haben mich Zeit meines Lebens sehr beschäftigt.
    Wieso denn.
    Nun, wenn man zur Verzweiflung neigt und aber Wege aus dem totalen Untergang sucht, stößt man irgendwann auf den Humor, er ist immer Ausdruck der Hoffnung.
    Neigst du zur Verzweiflung.
    Heute nicht mehr, nein. Und dass ich es nicht mehr tue, wurde mir durch Humor zumindest erleichtert.
    Und durch was noch?
    Durch was? Dagobert trank seinen Tee aus, erinnern, wiederholen,

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