Schwätzen und Schlachten
dort einen Film.
David starrte sie an, dann starrte er Frederik an, dann Simon, er setzte sich wieder aufs Sofa, weitest möglich von allen entfernt. Von wirklich allen.
Und was soll das?
Katharina schaute zu Simon hinüber, ich fürchte, sagte der, das soll etwas sein, von dem du und Frederik wenig halten.
David nickte, Kunst, sagte er, ja. Wenn das diese berühmte Kunst sein soll, dann halte ich davon wenig, ja.
130. Der Arsch mit Ohren
So war es. Kunst. Wenn er und Frederik aus dem, was Katharina und Simon ihnen abwechselnd zu erklären versuchten, schlau wurden, war es eine Mischung aus Konkurrenz und gegenseitiger, künstlerischer Befruchtung, wenn man das so sagen kann.
Beispielsweise diese Dias, sagte Katharina. Ursprünglich war der Text.
Der Schlachten text, sagte David.
Ja, sagte Simon. Schlachten, ein Alphabet der Indizien , so heißt er vollständig. Michi muss ihn geschrieben haben, als er in der Psychiatrie war, ich fand ihn auf seinem Blog. Er schickte ihn wie auch alles andere, was er uns zukommen lassen wollte, schickte er an die Adresse meiner Mutter – es war der einzige Anlaufpunkt, den er noch von früher her hatte. Wir haben uns, auch nach der Auflösung unseres gemeinsamen Arbeitsverhältnisses, immer wieder unsere Arbeiten zugeschickt, fügte er erklärend hinzu. Unsere Filme, Fotos, mitunter auch Texte, Tonaufnahmen, ganz verschieden. Katharina und ich hatten uns ja hauptsächlich auf die Filme fokussiert, Michi machte alles Mögliche. Und den Text fanden wir interessant. Wir nahmen ihn als Anlass, diese Israel-Episode nachzustellen, die fanden wir ziemlich gut, also diese These, dass Gabriel Maria schwängerte und es keine jungfräuliche Geburt war.
Interessant fandet ihr das, ja?, fragte Frederik.
Interessant, ja. Aber dann erfuhren wir, dass es Michi sehr schlecht ging. Er hatte in der Psychiatrie eine Therapie angefangen und sie aber abgebrochen, auf seinen eigenen Wunsch war er wieder gegangen. Und dann fing der Terror wieder an. Ich sagte das ja schon im Beisein der Polizei, es gab eine sehr unangenehme Phase nach der Trennung der beiden, er kam damit nicht gut klar und machte Katharina das Leben ganz schön schwer. Als wir aber in Zürich lebten, beruhigte sich das alles und wie gesagt, es entstand, über Distanz zwar und ohne, dass wir direkt zusammengearbeitet hätten, eine Art Dialog über unsere Arbeiten. Jedenfalls begann er, mir über die Adresse meiner Mutter tote Fische zu schicken, verwesende Eichhörnchen und so oder kleine Nachrichten mit Drohungen, oder so Sachen wie: Ich finde dich. Da dachten wir, wir lassen das lieber mit den Dias. Wir haben es nicht mehr weiterverfolgt, wir dachten, eine diesbezügliche Öffentlichkeit wäre eher unangemessen. Es schien ja bei ihm immer noch um Katharina zu gehen.
Woher wisst ihr das, fragte David. Wenn ich das recht verstehe, hat er sie in Zürich nicht mehr behelligt.
Michi war mit seinen Sachen nicht ganz erfolglos, er machte mitunter ziemlich große Projekte. In München, wo er für eine Weile wohnte, aber auch sonst wo. Als Katharina und ich nach einer zweitägigen Tour wiederkamen – wir waren für Dreharbeiten in den Bergen gewesen –, hing am Bahnhof in Zürich, direkt hinter dem riesigen Reiseengel von Niki de Saint Phalle, ein großes Plakat, darauf stand: Sie sind Katharina, aber wer bitte ist Igor? Darunter eine Nummer, angeblich von der Auskunft.
David sagte nichts, Frederik sagte auch nichts. Sie schauten Simon an und warteten darauf, dass es weiterging, sie konnten das alles nicht glauben.
Ich hatte, sagte Simon, schon von ähnlichen Aktionen von ihm gehört. Es war eine Art Markenzeichen von ihm, mit dem er kennzeichnete, dass er in einer Stadt seine Arbeiten machte. Wir hüteten uns, mit unseren eigenen Telefonen dort anzurufen, dazu kannten wir ihn zu gut. Aber damit hat er vermutlich auch nicht gerechnet, dazu kennt er uns wiederum auch zu gut.
Aber ihr habt dort angerufen, sagte Frederik.
Sicher, von einer Telefonzelle aus, sagte Simon.
Und, sagte David, was lief?
Was da lief? Simon sah ihn spekulierend an. Da lief Katharina die Kleine.
David sah ihn verständnislos an, was lief da?
Simon nickte, von Vicky Leandros.
David schaute zu Frederik, der zuckte die Schultern.
Auguste von Sydow in dem Sessel hinter ihrem Enkel hatte die rechte Hand über die Augen gelegt, sie schien unablässig den Kopf zu schütteln, sie konnte das alles nicht begreifen, oder aber, sie kannte das Lied und mochte es
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