Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
Sie mit Ihrem Bruder denn … ähem … vorgehen?«
»Ein Messer«, sagte der Meister theatralisch. »Ich hatte mich mit einem Messer ausgerüstet. Und ich hatte mir vorgenommen, tüchtig damit in der Wunde herumzustochern, damit niemand genaue Aussagen über die Größe der Klinge machen könnte.«
Fen erhob sich eilig. »Nun denn, wir müssen los«, sagte er.
Der Meister wirkte leicht überrascht. »Wollen Sie denn nicht etwas aus der Orestiade hören?«
»Es tut mir leid, aber dazu haben wir keine Zeit.«
»Also gut. Sie müssen mich aber unbedingt benachrichtigen, wenn die Metropolitan sie auf den Spielplan setzt.«
»Nein, nein, Shorthouse«, sagte Adam. »Professor Fen hat mit der Metropolitan nichts zu tun.«
Traurig schüttelte der Meister den Kopf. »Wie dumm von mir«, sagte er. »Manchmal frage ich mich wirklich, ob ich nicht ein wenig zerstreut bin.«
Er öffnete ihnen die Tür. Draußen auf dem Korridor huschte ein leise vor sich hin weinendes Dienstmädchen vorbei.
»Da!«, rief der Meister. »Haben Sie das gesehen? Ich denke, ich sollte mit Gabriel darüber sprechen. Das Dumme ist nur, dass man sich mit zunehmendem Alter an solche Dinge nicht mehr erinnert, außer in groben Umrissen … Also dann, guten Tag. Sie werden mir dann die Verträge aus Amerika zuschicken, nicht wahr? Sie brauchen sich keine Sorgen darüber zu machen, meine Forderungen könnten überzogen sein …«
Und triumphierend zog sich der Meister in sein Arbeitszimmer zurück.
Kapitel 11
Elizabeth hatte Fen und Adam am Haupttor des St. Christopher’s College verabschiedet; und noch während Lily Christines Motorenlärm in der Broad Street verhallte, wünschte sie, sie wäre mitgefahren. Während der Semesterferien erscheint Oxford seltsam verlassen – beinahe so, als sei ein Tiefpunkt erreicht. Der vereinzelte Dozent oder Hausdiener oder Student, der dann und wann einen Innenhof durchschreitet, dient nur dazu, die gähnende Leere ringsum zu betonen. Bedrohliche Ankündigungen in fetten schwarzen Lettern informieren die Öffentlichkeit darüber, dass es von nun an verboten ist, die Gartenanlagen des College zu betreten; die Pförtner, die in ihren überheizten Portierslogen vor sich hin dösen, werden so selten geweckt, dass sie jede Störung ihrer Ruhe als feindseligen Akt betrachten; der jauchzende Gesang, der sonst während der Gottesdienste in den verschiedenen Kapellen erklingt, verstummt mit erschreckender Plötzlichkeit, und die Geistlichen leiern vor einer dezimierten Gemeinde aus unterdrückt gähnenden Gläubigen ihre Predigten herunter. Unterdessen flattern an den sonst so überladenen Schwarzen Brettern einige verspätete Anschläge mit achtlos aufgerollten Ecken im Wind, und hin und wieder entdeckt man vielleicht einen einsamen, von der Bahngesellschaft übersehenen, verschnürten Koffer, der zwischen rot bemalten Feuereimern und Sandsäcken Staub ansetzt.
In ihrer Gesamtheit wirken diese Dinge deprimierend, und Elizabeth fühlte sich ein wenig niedergeschlagen, als sie an der St. Giles’ stand und ihrem davonfahrenden Ehemann nachsah. Sie könnte, überlegte sie, zum »Mace and Sceptre« zurückgehen und den Nachmittag lesend verbringen; sie könnte bei Blackwell’s nach Büchern stöbern; sie könnte ins Kino gehen … Doch in ihrer momentanen ruhelosen Verfassung schien ihr keine dieser Möglichkeiten sehr verlockend. Schließlich entschied sie, Somerville zu besuchen, ihr altes College, und folglich machte sie sich auf den Weg die Woodstock Road entlang.
Die Expedition stellte sich jedoch als äußerst unbefriedigend heraus. Eine Pförtnerin, nicht aus Elizabeths Studienzeit und zivilisierter, wenn auch nüchterner eingerichtet als ihre Kollegen von den Männercolleges, klärte sie darüber auf, dass sich alle Dozentinnen, die Elizabeth kannte, zur Zeit nicht in Oxford aufhielten – Elizabeth nahm an, dass sie in Plaids und Pelze gehüllt im Sonnenlicht einer schweizer Hotelterrasse saßen oder, zurückgezogen in eine stille Ecke der Bibliothèque Nationale , mit peinlichem, nie nachlassendem Arbeitseifer Kommentare zu Schreibfehlern in irgendwelchen mittelalterlichen Handschriften verfassten … Enttäuscht wandte Elizabeth sich ab. Aus keinem bestimmten Grund hatte sie beschlossen, dass ein wenig Gesellschaft und ein Gespräch ihr gut tun würden – und wenn es nur die Gesellschaft und das Gespräch mit einer Dozentin wären. Sie fand eine Telefonzelle und telefonierte vergeblich ihren alten
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