Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
Bekannten hinterher, bis ihr das Kleingeld ausging. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, sich am Laden an der Ecke neues zu beschaffen, verwarf ihn aber beinahe sofort. Verdrießlich wanderte sie in Richtung des Taylorian, halbherzig entschieden, sich dort ein soeben erschienenes deutsches Fachbuch über Fingerabdrücke anzusehen. Schließlich ging sie – wie sie es die ganze Zeit schon vorausgeahnt hatte – ins Kino.
Die beiden Filme, die sie sich ansah, waren wenig dazu geeignet, die Wolke der Traurigkeit zu vertreiben, die sich um sie gebildet hatte. Der erste war einer von jenen Dokumentarfilmen, wie sie die Kritiker der Sonntagszeitungen lieben; es ging darin um Mutter Erde und jene Menschen, die ihr anspruchsloses Dasein in engem Kontakt zu ihr führen. Eine salbungsvolle Stimme sprach einen salbungsvollen und teilweise unerträglichen Kommentar (»Das Leben ist der Weizen, der rote Weizen, der weiße Weizen; der Weizen ist das Leben«, und so weiter). Eine schier endlose Filmsequenz zeigte eine natürliche Geburt. Das Ganze endete in einer unerhört hygienischen apokalyptischen Vision. Die fortschrittlich denkenden Menschen starren mit Tränen in den Augen, doch optimistisch in die Zukunft, in der fast alle Menschen gegen dieses oder jenes geimpft werden – nicht ohne, vermutete Elizabeth, die üblichen schrecklichen Nebenwirkungen, die Impfungen nach sich ziehen (obwohl der Film davon nichts erwähnte) und die in den medizinischen Handbüchern so trefflich beschrieben werden.
Der zweite Film handelte von Spionen und hätte vielleicht als eines der notwendigen Übel durchgehen können, die Hitlers Paranoia einer friedlichen und friedliebenden Welt beschert hat. Es war einer dieser Filme, bei dem anfangs große Unklarheit darüber herrscht, wer auf wessen Seite steht – eine Frage, die auch am Ende nicht hinreichend geklärt ist. Darüber hinaus handelte es sich hier um eine besonders abscheuliche Variation des Genres, ging es doch um ein Gas, dessen einzige und unausweichliche Wirkung darin besteht, Menschen dazu zu bringen, mitten in der Nacht ihr Bett zu verlassen und sich, Klagelaute ausstoßend, von der nächsten Klippe zu stürzen … Als Elizabeth das Kino verließ, befand sie sich in einem Zustand blanken Horrors. Nur einmal blieb sie stehen, um einen älteren Herrn, der sich gerade eine Eintrittskarte kaufen wollte, darüber in Kenntnis zu setzen, dass er, wenn er auf der Suche nach etwas Zerstreuung war, es sich noch einmal gut überlegen solle. Wie seine Reaktion auf ihren Ratschlag ausfiel (abgesehen davon, dass er seinen Hut lüpfte und etwas Unverständliches murmelte), wartete Elizabeth nicht ab.
Nun folgte eine längere und mühsame Suche nach Virginia-Zigaretten. Ihren einzigen Fund fest in der Hand – zwanzig Zigaretten einer merkwürdigen und wahrscheinlich widerlichen Marke – kehrte Elizabeth ins Hotel zurück, müde, durchfroren und gereizt. Es war erst kurz nach halb fünf, als sie das Foyer betrat. In einer der Öffentlichkeit zugänglichen Lounge zur Linken waren die Tische mit weißen Tüchern gedeckt, und eine Reihe von Gästen machten sich über einen wenig nahrhaften, teuren Nachmittagsimbiss mit Tee her. Joan Davis, die sich gerade in Karl Wolzogens Gegenwart in Spekulationen über die Affäre Shorthouse erging, erblickte Elizabeth, die noch in der Tür stand, und winkte sie herüber. Elizabeth durchquerte den Raum, um sich zu den beiden zu gesellen.
»Ich kann aber nicht lange bleiben«, sagte sie. »Ich möchte nämlich noch einen Tee trinken.«
Karl strahlte; sein Enthusiasmus war kindlich und ansteckend. »Aber Sie müssen bleiben, Miss Langley, und Ihren Tee mit uns trinken. Natürlich müssen Sie das.« Er wandte sich an Joan. »Habe ich es nicht gesagt? Was für einen Oktavian sie neben Ihrer Marschallin abgeben würde! Hätte sie nicht die perfekte Figur dafür?« Mit entwaffnender Offenheit und Bewunderung musterte er Elizabeth von Kopf bis Fuß.
Doch Elizabeth, obgleich wegen der Bemerkung über ihre Figur sehr geschmeichelt, blieb in der Teefrage standhaft.
»Nehmen Sie es mir bitte nicht übel«, sagte sie. »Ich werde den Tee auf meinem Zimmer nehmen. Erstens möchte ich mich umziehen, und zweitens braucht die Bedienung hier unten immer so lange.«
Karl war geknickt. » Ganz wahr «, gab er zu. »Aber ich werde den Kellner zur Eile antreiben. Sie werden schon sehen. Ich werde ihn fragen, ob er es richtig findet, dass die Bekannte eines Mannes,
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