Schwanengesang (German Edition)
lange um den heißen Brei herumzureden. »Kannst du mir das bitte erklären?«
Er knallte das Blatt, das er aus dem Ordner genommen hatte, auf den Esstisch. Melanie zog sich mit erhobenen Augenbrauen die Jacke aus, dann nahm sie das Blatt zur Hand und las es durch. »Das ist eine Arztrechnung«, sagte sie in gleichgültigem Ton. »Was soll damit sein?«
Marc konnte sich kaum noch beherrschen. »Das ist nicht irgendeine Arztrechnung, das ist eine Rechnung von Dr. Heinen«, ereiferte er sich. »Von dem Arzt, der bei seiner Patientin zu Unrecht Krebs diagnostiziert hat, von dem Arzt, der mich gefragt hat, ob ich eben dieser Patientin bei ihrem Suizid helfe, und von dem Arzt, der jetzt spurlos verschwunden ist! Und jetzt frage ich mich natürlich, warum du mir nicht gesagt hast, dass du ihn kennst?«
Melanie starrte ihn mit offenem Mund an. »Dieser Arzt war Dr. Heinen?«
»Ja, das war Dr. Heinen«, äffte Marc sie in gleichem Tonfall nach. »Tu nicht so, als ob du das nicht gewusst hättest!«
»Ich tue nicht so, ich habe es nicht gewusst«, erwiderte Melanie scharf. »Du hast immer nur von ›einem Arzt‹ gesprochen, seinen Namen hast du nie genannt.«
Marc kam ins Grübeln. Konnte das sein? Er war sich nicht hundertprozentig sicher.
»Und selbst wenn«, sagte er trotzig. »Es ist doch wohl merkwürdig, dass du ausgerechnet bei dem Arzt in Behandlung warst, der mich in diese Sache hineingezogen hat.«
»Ich weiß nicht, was daran merkwürdig sein soll. Zunächst einmal hat Heinen nicht mich behandelt, sondern Lizzy, wie du der Rechnung unschwer entnehmen kannst. Und es war eine einmalige Behandlung vor acht Monaten, als Lizzy diese Kopfschmerzen hatte.«
»Ja, ich erinnere mich. Aber ich erinnere mich auch sehr genau, dass du von einem Dr. Heinen nie etwas erwähnt hast. Er hat seine Praxis in Gütersloh, wieso bist du so weit gefahren? Wir haben in Bielefeld mehr Ärzte als genug. Und Heinen ist noch nicht mal Kinderarzt!«
»Aber er hat schon sehr viele Kinder behandelt. Und er ist ein sehr guter Arzt, der mir von mehreren Leuten empfohlen worden ist, und nur darauf kommt es an. Heinen gehört zu den Ärzten, die sich für ihre Patienten sehr viel Zeit nehmen und sie nicht gleich mit Unmengen von Chemie vollstopfen. Und weil ich genau zu so einem Arzt wollte, bin ich mit Lizzy nach Gütersloh gefahren. Die Gesundheit meiner Tochter liegt mir zufällig sehr am Herzen. Und ja, ich habe das getan, ohne dich vorher um Erlaubnis zu bitten, stell dir mal vor!«
»Jetzt wirst du polemisch.«
Melanies Stimme wurde schrill. »Das liegt vielleicht daran, dass ich Lust bekomme, polemisch zu werden, wenn mir so ein Scheiß vorgeworfen wird!«
»Ich habe dir nichts vorgeworfen«, leitete Marc den taktischen Rückzug ein. »Ich wollte nur Klarheit.«
»Die dürftest du jetzt ja haben, oder? Wie kommst du überhaupt dazu, meine Sachen zu durchwühlen?«
»Ich habe nichts durchwühlt. Deine Freundin Beatrice … ach Scheiße!« Marc rieb sich heftig die Stirn. Beatrice hatte er vollkommen vergessen. Er lief zum Telefon, aber sie hatte bereits aufgelegt.
Marc rang sich ein schiefes Lächeln ab. »Vielleicht solltest du Bea mal anrufen«, flötete er. »Ich denke, dann klärt sich alles auf.«
16
Nachdem Melanie mit ihrer Freundin telefoniert hatte, entspannte sich die aufgeheizte Atmosphäre tatsächlich wieder einigermaßen. Allerdings hatte Marc, der das Gespräch der Freundinnen mit angehört hatte, dabei den Eindruck gewonnen, dass er mit seiner Aktion in Beatrice’ Ansehen nicht unbedingt gestiegen war.
Immerhin hatte sie Melanie beruhigen können und sie frühstückten noch gemeinsam, bevor Marc sich in seinem Golf auf den Weg machte, um die Punkte auf seiner heutigen To-do-Liste abzuarbeiten.
Im Internet hatte er erfahren, dass Andreas Rottmann einen Gebrauchtwagenhandel im Bielefelder Stadtteil Brackwede betrieb, aber als Marc dort ankam, fand er sich vor verschlossenen Türen. Er sah sich ein wenig auf dem Gelände um und gewann dabei den Eindruck, dass hier schon längere Zeit keine Autos mehr verkauft wurden. Also machte er sich auf den Weg zu Rottmanns Privatadresse.
Er wohnte in einem zweistöckigen Reihenhaus, das dem von Marc nicht unähnlich war. Allerdings lag es im Osten der Stadt und war auch einige Jahre älter. Johanna Reichert scheint ihren nächsten Angehörigen zu Lebzeiten nicht gerade mit Reichtümern überhäuft zu haben, dachte Marc. Nun, Rottmanns Lebensstandard würde sich in naher
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