Schwanengesang (German Edition)
bald auch diese schrecklichen Vorwürfe gegen Sie fallen gelassen werden.«
17
Sein nächster Weg führte Marc in seine Kanzlei in der Bielefelder Innenstadt. Er erkundigte sich bei Stefanie nach Anrufen und sah die Post durch. Zum Glück nichts Dringendes.
Nach einer halben Stunde verließ er sein Büro wieder. Er hoffte, Rottmann noch vor vierzehn Uhr anzutreffen und dann weiterarbeiten zu können. Wie in jeder Anwaltskanzlei wurde auch bei ihm das Geld nachmittags verdient, wenn die Mandanten kamen. Wenn sie denn kamen.
Dieses Mal hatte Marc mehr Glück. Auf sein Klingeln hin wurde die Tür geöffnet und ein untersetzter Mann Anfang vierzig mit Halbglatze und Doppelkinn erschien. Sein Hemd war nicht bis oben zugeknöpft und gab den Blick auf eine goldene Halskette und eine üppige Brustbehaarung frei. Er schwitzte stark, stank nach einem penetranten Rasierwasser und kaute auf einem Kaugummi herum. Der Typ war Marc auf den ersten Blick hochgradig unsympathisch.
»Guten Tag, Herr Rottmann«, sagte er. »Mein Name ist Hagen. Ich bin … war ein Bekannter Ihrer Tante.«
Rottmann brauchte ein paar Sekunden, dann schien der Groschen zu fallen. »Ah, Sie sind das. Die Polizei hat mich über Sie informiert. Was wollen Sie?«
»Ich würde mich gerne kurz mit Ihnen unterhalten. Selbstverständlich nur, wenn Sie Zeit haben.«
Anscheinend musste Rottmann mehrere Sekunden das Für und Wider von Marcs Ansinnen abwägen, trat aber schließlich zur Seite, um den Weg freizugeben. »Kommen Sie rein. Durch den Flur und dann immer geradeaus.«
Marc gelangte in ein durch und durch bürgerliches Wohnzimmer, in dem ein etwa vierzehnjähriges Mädchen in das Fernsehprogramm versunken war. Rottmanns Tochter, wie er vermutete.
Die Einrichtung bestand aus einer Eichenschrankwand, einer Polsterkombination mit Dreisitzer, Zweisitzer und Sessel sowie einem großen Couchtisch mit Marmorplatte. Darauf verteilt lagen diverse Hochglanzprospekte mit Karossen vornehmlich deutscher Provenienz.
»Lass uns mal allein!«, schnauzte Rottmann seine Tochter an. »Ich habe mit dem Herrn etwas zu besprechen.«
Die Augen des Mädchens ließen nicht eine Sekunde von dem Fernseher ab. »Mannoooo, ich will das sehen!«
»Du hast oben auch eine Kiste, also sieh zu, dass du Land gewinnst.« Er klatschte in die Hände und scheuchte sie wie ein entlaufenes Schaf aus dem Zimmer.
»Pubertät«, sagte Rottmann entschuldigend und deutete auf den Dreisitzer. »Bitte.«
Marc nahm Platz. »Ich habe auch eine Tochter«, sagte er. »Sie ist aber erst zehn.«
»Genießen Sie das Alter«, seufzte Rottmann. »Ab jetzt wird es jeden Tag schlimmer. Wenn sie überhaupt noch mit uns redet, motzt sie uns an. Meine Frau arbeitet und deshalb habe ich sie jetzt den ganzen Tag am Hals.«
»An Ihrer Stelle hätte ich nach so einer Erbschaft auch meinen Beruf aufgegeben«, startete Marc einen Versuchsballon.
»Ich arbeite schon seit einiger Zeit nicht mehr. Ich habe … hatte einen Gebrauchtwagenhandel in Brackwede. Aber der lief am Ende nicht mehr. Seitdem bin ich zu Hause.« Er sah Marc fragend an. »Also, was kann ich für Sie tun?«
»Zuerst mal möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie überhaupt mit mir reden.«
»Warum sollte ich das nicht tun?«, wunderte sich Rottmann.
»Immerhin habe ich Ihre Tante ermordet, zumindest, wenn man der Polizei glauben will. Aber es entspricht der Wahrheit, dass ich maßgeblich zu ihrem Tod beigetragen habe.«
»Ja, da waren ein paar Beamte hier und haben mich ausgefragt, über meine Tante und diesen Dr. Heinen. Auch über Sie. Aber ich konnte denen nicht viel sagen. Wissen Sie, mein Verhältnis zu meiner Tante war nicht sehr gut. Eigentlich war es bis vier Wochen vor ihrem Tod überhaupt nicht vorhanden.«
»Aber Sie waren doch ihr einziger naher Verwandter«, soufflierte Marc.
»Das ist richtig, und deshalb hatte ich eigentlich auch gehofft, dass sie mir finanziell ein wenig unter die Arme greift. Sie hatte schließlich mehr Kohle, als sie in ihrem ganzen Leben ausgeben konnte.«
»Aber sie hat Ihnen die Hilfe verweigert?«
»Allerdings. Vor ein paar Jahren wollte ich mich mit einem Freund zusammen selbstständig machen. Er hat ein neues Verfahren im Bereich der Spritzgusstechnik erfunden. Wirklich revolutionär. Das wäre die Chance meines Lebens gewesen. Aber um seine Idee weiterzuentwickeln und zu vermarkten, hätten wir Geld gebraucht. Ich dachte, meine Tante würde mich unterstützen, aber sie hat sich strikt
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