Schwanengesang (German Edition)
bei manchen empfindsamen Menschen wahrscheinlich schon die Diagnose Magenkrebs, um heftigste Schmerzen auszulösen. Vielleicht war das auch der Grund gewesen, warum die von Heinen verabreichten Schmerzmittel nichts genutzt hatten. Diese halfen vielleicht gegen körperliche Beschwerden, waren aber gegen die Psyche machtlos. Für viel wahrscheinlicher hielt Marc es allerdings, dass Heinen Johanna Reichert Medikamente verabreicht hatte, die zwar nicht gegen Schmerzen halfen, aber starke Nebenwirkungen aufwiesen. Neben der psychischen Belastung wohl ein weiterer Grund für den erbarmungswürdigen Zustand, in dem Marc die Frau angetroffen hatte.
»Sie glauben also, dass Heinen hinter allem steckt?«, fragte Marc.
»Natürlich, wer sollte es sonst gewesen sein?«
»Kannten Sie ihn eigentlich gut?«
»Nur von meinen Besuchen bei Johanna. Allzu häufig konnte ich wegen meiner Katzenallergie ja nicht bei ihr sein, aber wenn ich da war, war er auch da. Eigentlich war er immer da.«
»Kam Ihnen das nicht komisch vor?«
»Nicht wirklich. Johanna war sehr reich und konnte sich die beste Behandlung leisten. Ich bin davon ausgegangen, dass Heinen für seine Visiten entsprechend bezahlt worden ist.«
»Haben Sie eine Idee, wo er jetzt stecken könnte? Die Polizei sagt, er sei spurlos verschwunden.«
Charlotte Vollmer hob die Hände zu einer hilflosen Geste. »Tut mir leid. Die Polizei hat mir dieselbe Frage auch schon gestellt, aber denen konnte ich auch nicht helfen, dazu kannte ich Heinen zu wenig. Außerhalb von Johannas Haus hatten wir keinerlei Kontakt.«
»Haben Sie mit Frau Reichert eigentlich mal über mich gesprochen?«, fragte Marc.
»Nur einmal kurz vor ihrem Tod. Sie sagte, es gebe da jemanden, der ihr helfen würde. Sie sagte zwar nicht, wobei, aber das war ohnehin klar. Wochenlang hat sie nur noch davon gesprochen, dass sie nicht mehr leben wolle. Ich sagte Ihnen ja schon, dass sie auch mich um Hilfe gebeten hat.«
»Haben Sie gewusst, dass ich in Frau Reicherts Testament bedacht worden bin?«
»Nein, das ist mir neu.«
»Aber die Erben sind Ihnen bekannt?«
»Ich weiß nur, dass irgendein Verein und ihr Neffe geerbt haben. Beides hat mich, gelinde gesagt, überrascht. Über diesen Verein ist mir nichts bekannt. Obwohl wir sehr gut befreundet waren, hat sie nie darüber gesprochen.«
»Und der Neffe?«
Charlotte Vollmer schnaubte. »Ein Taugenichts wie er im Buche steht! Hatte immer hochtrabende Pläne, ist damit aber jedes Mal gescheitert. Ich weiß nicht, wie oft er mit verschiedenen Unternehmen pleitegegangen ist. Er hat Johanna oft angebettelt, aber sie hat mir mal gesagt, da könne sie ihr Geld auch genauso gut in den Gully werfen. In ihren Augen war ihr Neffe ein Versager, genau wie ihr Bruder, Rottmanns Vater. Als sie sich geweigert hat, Rottmann Geld zu geben, ist der Kontakt abgebrochen.«
»Warum hat sie ihre Meinung geändert?«
»Als Johanna dachte, dass sie nicht mehr lange zu leben hat, wollte sie sich wieder mit ihm versöhnen. Er war immerhin ihr letzter naher Verwandter. Und ich glaube, sie hatte auch ihre Großnichte, Rottmanns Tochter, ganz gerne und wollte sie noch mal sehen.«
»Waren Sie eigentlich enttäuscht, dass Sie nicht in dem Testament erwähnt worden sind?«, wechselte Marc blitzschnell die Richtung.
Charlotte Vollmer quittierte seine Bemerkung mit einem spöttischen Lächeln. »Man merkt, dass Sie Anwalt sind«, sagte sie. »Ich komme mir langsam vor wie bei einem Kreuzverhör vor Gericht. Aber die Antwort lautet: nein.«
Marc ließ nicht locker. »Warum nicht? Immerhin war Frau Reichert millionenschwer und Sie waren Ihre beste Freundin. Ich an Ihrer Stelle wäre enttäuscht gewesen.«
Charlotte Vollmers Lächeln wurde noch breiter. »Sagen wir so: Ich kann mich über Johannas Großzügigkeit nicht beklagen. Aber über finanzielle Dinge spreche ich nicht so gerne.«
Marc nickte. Er würde schon herausfinden, wie die Großzügigkeit Johanna Reicherts ausgesehen hatte.
»Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?«, erkundigte sich Marc.
»Ich besitze eine Modeboutique in der Innenstadt«, antwortete sie. »Damit wird man nicht reich, aber ich komme ganz gut zurecht.«
Marc überlegte, ob er noch etwas vergessen hatte. Als ihm keine Fragen mehr einfielen, verabschiedete er sich: »Und danke, dass Sie Zeit für mich hatten.«
»Keine Ursache. Sie können gerne jederzeit wieder vorbeikommen. Ich weiß, was Sie für Johanna getan haben. Und ich bete für Sie, dass
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