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Schwanengesang (German Edition)

Schwanengesang (German Edition)

Titel: Schwanengesang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Hoppert
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»Entweder du nimmst dir ein Taxi oder schläfst bei uns im Gästezimmer. Wozu habe ich schließlich das große Haus gekauft?«
    »Ja, wozu?«, sinnierte Gabriel und starrte in sein Glas, als finde er dort die Antwort auf seine Frage. »Wozu macht man das alles? Man rackert sich ab, verdient das Geld, opfert sich für seine Familie auf und am Ende steht man alleine da und haust wieder in einer schäbigen Studentenbude, während Madame sich in meinem Schlafzimmer von ihrem Sandro durchficken lässt. Das ist doch scheiße, oder, Marc? Ich sage dir jetzt mal was: Den wahren Charakter einer Frau lernt man erst kennen, wenn man sich von ihr trennt.«
    »Ich glaube kaum, dass man das verallgemeinern kann«, mischte sich Melanie in scharfem Ton ein. Marc spürte, dass sie mit ihrer Geduld am Ende war.
    Gabriel starrte sie mit glasigen Augen an. »Glaubst du nicht? Klar, Melanie, so wie du es mit deinem Mann gemacht hast, kann man sich natürlich auch trennen. Ein paar Schüsse aus einer Beretta und alle Probleme sind gelöst.«
    Scheiße, dachte Marc. Er warf einen ängstlichen Blick auf Melanie, die offenbar kurz vor dem Explodieren war. Irgendwie verlief dieser Abend ganz anders als geplant.
    »Marc, kommst du mal?«, sagte Melanie gefährlich leise und ging in Richtung Küche.
    Als Marc ihr folgte, grölte Gabriel ihm hinterher. »Uhhh, da steht aber jemand ganz schön unter dem Pantoffel! Pass auf, dass sie dich nicht über den Haufen ballert!«
    Marc seufzte und hoffte inständig, dass Melanie wenigstens Gabriels letzten Satz nicht gehört hatte. Als er in der Küche ankam, wurde er von Melanie mit vor der Brust verschränkten Armen empfangen.
    »Er meint es nicht so«, versicherte Marc schnell, bevor Melanie etwas sagen konnte. »Er ist vollkommen betrunken.«
    »Ich weiß , dass er betrunken ist«, erwiderte Melanie. »Aber irgendwann ist das Maß voll. Du gehst jetzt rüber und schmeißt ihn auf der Stelle raus.«
    »Aber er ist mein Freund. Und …« Marc zögerte. »Und er hilft mir.«
    Für einen Moment wurden Melanies Züge ein wenig weicher. »Das weiß ich, aber es gibt ihm trotzdem nicht das Recht, sich so zu benehmen. Von mir aus kann er auch hier schlafen, aber heute will ich ihn nicht mehr sehen. Also tu was!«
    Marc ging langsam zurück, unschlüssig, wie er Gabriel beibringen sollte, dass er nicht mehr erwünscht war. Im Wohnzimmer stellte er fest, dass er sich umsonst Gedanken gemacht hatte: Gabriel lag ausgestreckt auf dem Sofa und schnarchte leise vor sich hin. Marc war erleichtert. Rasch zog er Gabriel die Schuhe aus, dann holte er eine Decke und breitete sie über seinem Freund aus.
    Endlich Ruhe, dachte er.

22
    Graciano Scarpettas Wohnung lag in einer grauen Mietskaserne vis-à-vis einer Tankstelle, die in ganz Bielefeld dafür bekannt war, dass sie mit dem Verkauf von Alkohol ein wesentlich besseres Geschäft machte als mit Kraftstoff.
    Marc hatte keinen Termin vereinbart, bei seiner Recherche jedoch erfahren, dass Scarpetta seine Wohnung so gut wie nicht mehr verließ, außer wenn er kurz an der Tankstelle gegenüber seine Vorräte auffüllte. Marc fragte sich nur, ob der Mann ihn auch reinlassen würde. Doch er würde sich nicht abwimmeln lassen, denn er hoffte, dass Scarpetta ihm bei seiner Suche nach Heinen weiterhelfen konnte.
    Er drückte den Klingelknopf und ließ sich auch nicht entmutigen, als nach seinem dritten Versuch immer noch keine Reaktion erfolgte. Schließlich presste er seinen Daumen auf den Knopf in der Absicht, ihn so lange dort zu lassen, bis entweder der Strom ausfiel oder Scarpetta öffnete. Und tatsächlich zahlte sich Marcs Hartnäckigkeit aus: Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte er den Summer und er drückte die Tür auf. Aber als er den gefliesten Flur betrat, traf er dort nicht auf den Gesuchten, sondern auf eine Frau, der Marcs Dauerklingeln dermaßen auf die Nerven gegangen war, dass sie den Türöffner gedrückt hatte. Immerhin war sie dann noch so freundlich, ihm Scarpettas Wohnung im ersten Stock zu zeigen. Dort musste er mehrfach mit der Faust gegen die Tür hämmern, bis endlich geöffnet wurde.
    Marc war bereits vorgewarnt, was Scarpettas Zustand betraf, aber der Mann, den er jetzt erblickte, übertraf noch seine schlimmsten Befürchtungen: Sein aufgedunsener Oberkörper war nackt, er trug eine Jogginghose undefinierbarer Farbe und stank entsetzlich. Er war barfuß und hatte sich anscheinend seit Wochen nicht mehr rasiert oder die Haare gewaschen. Aus dem

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