Schwanengesang (German Edition)
bemühte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen.
Gabriel nahm einen kräftigen Schluck Wein. »Ich hatte es mir auch leichter vorgestellt«, sagte er. Seine Sprache war schon etwas verschliffen. »Ich bin aus Stuttgart weg, weil du da die Straße mit Anwälten pflastern kannst. Aber inzwischen habe ich erfahren, dass es in Bielefeld über neunhundert Anwälte gibt. Das musst du dir mal vorstellen! Fast tausend Anwälte in diesem Provinzkaff! Außerdem war ich halt eine lange Zeit weg und niemand hier kennt mich mehr. Egal, wird schon werden.« Er sah Melanie an. »Hast du noch mehr von diesem vorzüglichen Wein?«, fragte er und hob sein Glas.
»Und wie geht es deinen Kindern?«, erkundigte sich Melanie, während sie nachschenkte.
»Gut! Soweit ich weiß«, fügte er dann noch hinzu. »Ich versuche natürlich, die beiden so oft wie möglich zu sehen, aber das geht im Moment nur jedes zweite Wochenende. Wenn man sich eine neue Existenz aufbauen muss, ist halt viel zu tun. Außerdem versuche ich, den Kontakt zu Julia auf das Nötigste zu beschränken. Die Gute hat mich nach der Trennung bis aufs Hemd ausgezogen.«
»Julia?«, fragte Marc erstaunt. Er war natürlich hauptsächlich Gabriels Freund, aber was der gerade gesagt hatte, passte so gar nicht zu der sanftmütigen Julia, die er seit Jahren kannte.
»Ja, Julia!«, bestätigte Gabriel bitter.
Er trank sein Glas in einem Zug leer und hielt es Melanie gleich wieder hin, um es erneut füllen zu lassen.
»Sie hat auch schon einen Neuen«, fuhr er dann fort. »Einen Sandro. Sandro Kern! Ohne den hätten wir unsere Probleme vielleicht in den Griff bekommen. Nein, ich bin mir sogar sicher! Aber dann ist ja Sandro aufgetaucht. Ein Ossi, natürlich. Hat schon vor der Wende rübergemacht und in Stuttgart ein Fitnessstudio eröffnet. Inzwischen hat er sieben Stück davon, wahrscheinlich, damit er jeden Tag der Woche woanders trainieren kann. Ihr müsstet den Kerl mal sehen: polierte Glatze und über und über mit Muskeln bepackt. Vin Diesel ist ein Waisenknabe dagegen. Er ist inzwischen bei Julia und den Kindern eingezogen. In mein Haus! Wenn er nicht so stark wäre, würde ich ihn verprügeln.«
Bei der Vorstellung musste Marc grinsen. Gabriel würde es nicht einmal schaffen, Thomas Quasthoff zu verprügeln, geschweige denn einen ostdeutschen Bodybuilder.
Gabriel stand derweil mühsam auf. »Ich muss mal wieder ein paar Gläser Wein wegbringen«, entschuldigte er sich und schwankte Richtung Badezimmer.
»Wir sollten ihm nichts mehr geben«, zischte Melanie Marc zu, als sie alleine waren. »Er hat mehr als genug.«
»Vielleicht sollten wir einfach das Thema wechseln«, schlug Marc vor. »Dann hat er auch keinen Grund mehr, sich zu betrinken.«
»Es gibt kein Thema, bei dem er nicht depressiv wird. Familie, Beruf, Freunde. Irgendwie scheint bei ihm im Moment gar nichts zu laufen.«
»Wenn du dich erinnerst, war exakt das der Grund, warum wir ihn heute eingeladen haben.«
»Ich weiß.« Melanie seufzte. Dabei fiel ihr Blick auf das Chaos auf dem Esstisch. »Vielleicht sollten wir schon mal ein bisschen aufräumen.«
Ein paar Minuten später kehrte Gabriel in das Wohnzimmer zurück und ließ sich wieder auf die Couch fallen.
»Aaaah, das war gut«, verkündete er. »Aber jetzt passt auch wieder was rein.« Er griff nach seinem leeren Glas und streckte es Melanie entgegen.
Die schaute ostentativ auf die Uhr. »Oh, schon so spät!«
»Wir haben es hier doch gerade so gemütlich«, lallte Gabriel. »Aber bitte, wenn du schon ins Bett willst, tu dir keinen Zwang an! Reisende soll man nicht aufhalten, was Marc?« Unvermittelt brach er in ein meckerndes Gelächter aus. »Wir machen noch eine Flasche auf und schauen uns ein paar Dallas -Folgen an. Erinnerst du dich an unsere Dallas -Nächte? Einmal haben wir fünfundvierzig Stunden am Stück geguckt. Fünfundvierzig Stunden! Fast hätten wir es ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft.«
»Marc stellt heute bestimmt keine Rekorde mehr auf«, gab Melanie gereizt zurück. »Wir müssen morgen einigermaßen früh aufstehen, weil wir Lizzy versprochen haben, mit ihr in den Osnabrücker Zoo zu fahren.« Sie hielt inne, als sei ihr gerade etwas eingefallen. »Sag mal Gabriel, bist du eigentlich mit dem Auto hier? Du hast schon einiges getrunken und ich frage mich, wie du nach Hause kommen willst.«
»Das ist kein Problem«, erwiderte Gabriel leichthin. »Ich bin topfit.«
»Nichts da!«, schritt Marc energisch ein.
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