Schwanengesang (German Edition)
ich jetzt …«
»Praktisch alle«, fiel Gabriel ihm ins Wort. »Cliff Barnes gleich drei Mal, Jock, Sue Ellen, Ray Krebbs, Jenna Wade, Clayton Farlow, ja sogar Bobby. Und jedes Mal ist es gut ausgegangen.«
Marc wusste natürlich, dass eine Fernsehserie nichts mit der Realität zu tun hatte, aber auf irgendeine Weise hatten Gabriels Worte ihn beruhigt und ihm neue Zuversicht gegeben. »Danke«, sagte er also. »Wir sehen uns morgen. Und noch mal danke, dass du mir zugehört hast.«
Nachdem er aufgelegt hatte, fiel sein Blick auf die Uhr. Es war zwei Uhr morgens. Reiß dich zusammen, sagte er zu sich selbst. Morgen würde ein schwerer Tag für ihn werden und er musste ausgeruht sein.
Marc putzte sich schnell die Zähne, dann legte er sich ins Bett, merkte aber, dass er zu aufgekratzt war. Die Ereignisse des Tages liefen wie in einer Endlosschleife in seinem Kopf ab und er konnte sich einfach nicht davon lösen.
Als er auf den Wecker schaute, waren zwei Stunden vergangen, ohne dass er auch nur eine Sekunde geschlafen hatte. Du musst dich irgendwie ablenken, sagte er sich. Nur wie? Gabriel versuchte es immer mit einem Dallas -Quiz, vielleicht half das ja. Marc versuchte auszurechnen, wie viele der Protagonisten schon in Untersuchungshaft gesessen hatten. Er kam auf keine genaue Zahl, war sich aber ziemlich sicher, dass es am Ende tatsächlich für alle halbwegs glimpflich ausgegangen war. Moment, bis auf die Sache mit J. R.! Der war wegen angeblicher Vergewaltigung zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt worden und hatte seine Strafe tatsächlich antreten müssen. Irgendwann war ihm die Flucht gelungen.
Marc musste unwillkürlich grinsen. Weskamp hatte ihm geraten, seine Sachen zu packen. Vielleicht sollte er sich noch eine Feile besorgen. Scheiße, dachte er. Das hier ist die Wirklichkeit! Und da wurden die meisten Menschen, die in U-Haft kamen, im Anschluss verurteilt und mussten ihre Strafe absitzen.
Marc spürte, wie eine Welle des Selbstmitleids in ihm aufbrandete. Er hatte nichts Falsches getan und trotzdem befand er sich in dieser scheinbar ausweglosen Situation. Er sah ja ein, dass die Sterbehilfe für Johanna Reichert falsch gewesen war, aber dieser Fehler rechtfertigte es nicht, dass er jetzt womöglich für Jahre in den Knast wanderte.
Und er rechtfertigte auch nicht, dass Melanie ihn verlassen hatte! Melanie. Sollte sie doch sehen, wie sie ohne ihn klarkam! Vielleicht würde sie ja irgendwann bereuen, dass sie ihn fallengelassen hatte, als er ihre Hilfe am meisten gebraucht hätte. Auch wenn das nach dem Fund von Heinens Foto in ihrem Nachttisch sehr unwahrscheinlich war.
Marc zermarterte sich das Gehirn, aber ihm war absolut nichts Ungewöhnliches an Melanies Verhalten aufgefallen. Nichts, was auch nur im Entferntesten darauf hingedeutet hatte, dass sie ihn mit Heinen betrogen hatte. Konnte man sich dermaßen in einem Menschen täuschen? Marc wusste es nicht. Und wenn das Foto doch ganz harmlos war? Marc schnaubte. Natürlich, schließlich bewahrte fast jeder ein Foto von einem Menschen, der ihm nichts bedeutete, in seinem Nachtschrank auf. Nein, er musste aufhören, sich selbst zu belügen.
Irgendwann fiel er in einen unruhigen Schlaf, bei dem ihm die wildesten Träume durch den Kopf spukten. Er saß auf der Anklagebank, neben ihm sein Verteidiger Gabriel, und Johanna Reichert wurde in den Gerichtssaal geführt. Auf eine Frage der Staatsanwältin, die erstaunlicherweise genauso wie Melanie aussah, zeigte Johanna Reichert mit dem ausgestreckten rechten Zeigefinger auf Marc. »Der da war’s! Er hat mich umgebracht!«
Als Marc erwachte, sickerte bereits das erste Morgenlicht durch die Ränder der Jalousie und Marc konnte die Umrisse seiner Schlafzimmereinrichtung schemenhaft erkennen. Er blieb einfach auf dem Rücken liegen und versuchte, sich seine Träume wieder ins Gedächtnis zu rufen.
Plötzlich richtete er sich mit einem Ruck kerzengerade in seinem Bett auf.
Er wusste jetzt, wie alles abgelaufen war. »Großer Gott«, schoss es durch seinen Kopf.
40
Um vierzehn Uhr schellte Marc an der Tür von Gabriels Kanzlei.
Sein Freund öffnete ihm persönlich. »Hallo, Marc. Meine Sekretärin ist heute Nachmittag nicht da. Ich musste sie wegen Arbeitsmangels auf Kurzarbeit setzen.« Er lächelte verschämt. »Du wärst wahrscheinlich froh, wenn du nur solche Sorgen hättest.«
»Falls es tatsächlich zu einem Prozess gegen mich kommen sollte, wirst du dich in den nächsten Monaten nicht über
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